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Quarantaene

Quarantaene

Titel: Quarantaene Kostenlos Bücher Online Lesen
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dem Sinngerüst, das er sich ausmalte, wenn er die synoptischen Evangelien las, und an das er, wie er ihr einmal gestanden hatte, nie recht hatte glauben können; ihre eigene langsam erwachende Neugier auf die Welt, ihre Verortung in der Zeit und ihre Stellung in der Natur, eine rein wissenschaftliche Neugier, jedenfalls nach ihrem Verständnis von »Wissenschaft«, gewonnen aus Videosendungen und Science-Fiction-Romanen: Wie befriedigend es war, alles zu wissen, was allgemein über Planeten bekannt war, über Monde, Sterne, Galaxien, ihren Anfang und ihr Ende; und selbst an den offenen Fragen konnte man sich erfreuen, weil es ein gemeinsames, anerkanntes und systematisch betriebenes Projekt war, sie einer Antwort zuzuführen; ganz anders die zerbrechliche Religiosität ihres Vaters, über die er nicht einmal gern redete, denn sein Glaube, so ihre Vermutung, war wie ein altes, kostbares Teeservice, schön und ehrwürdig, durfte aber weder Licht noch Hitze ausgesetzt werden; auch wusste sie, dass er stolz war auf die wachsende Liste ihrer Erfolge (alles Einser außer in Musik und Sport, wo ihr ihre Ungeschicktheit im Wege war; die Mathe-Medaillen und Jugend-forscht-Auszeichnungen; die Stipendien): die plötzlich einsetzenden Peinlichkeiten der Pubertät, das allmähliche Verstehen des weiblichen Körpers, der ihr mancherlei Überraschungen zu bereiten begann; sie musste lernen, die Blutflecken in ihrer Unterwäsche zur Biologie der Fortpflanzung in Beziehung zu setzen, Ei- und Samenzellen, Eierstöcke und Blütenstaub und die lange Kette von Geschlechtsakten, die sie mit dem gemeinsamen Ahnen alles Lebendigen auf der Erde verband; ihre ersten tastenden Auseinandersetzungen mit dem Erotischen (ein Junge namens Jeremy, im möblierten Keller seines Hauses, während seine Mutter oben eine Party gab; ein Junge namens Elliot, in der Wohnung seiner Eltern, während diese wegen Monsunregens auf einem Flughafen irgendwo in Thailand festsaßen; doch es wurde beide Male nichts Ernstes daraus); ihre frühe Begeisterung über die O/BEK-Bilder von HR8832/B, Meereslandschaften wie die viktorianischen Farbdruckillustrationen von Melville-Büchern (Taipi, Omu), eine Faszination, die sie zur Astrobiologie führte; das Princeton-Stipendium (bei der Schulabschlussfeier hatte ihre Mutter vor Stolz geweint, am selben Abend aber den ersten einer Reihe von ischämischen Anfällen erlitten, die ein halbes Jahr später in einem tödlichen Schlaganfall kulminierten); bei der Beerdigung, neben ihrem Vater stehend, hatte sie sich gezwungen, aufrecht zu bleiben und nicht einfach niederzusinken und die Welt verschwinden zu lassen; eine Uni-Affäre mit einem Mann namens Mike Okuda, der ebenfalls besessen war von den O/BEK-Bildern und der ihr einmal seine Paranoia anvertraute, dass er sich vorstellte, er werde von anderen Welten aus heimlich beim Geschlechtsakt beobachtet; die Trennung von ihm – für sie schmerzlich, für ihn offenbar weniger –, als er einen Job an der Westküste antrat, um Hall-Effekt-Motoren zu entwickeln, und ihre Erkenntnis, dass sie sich niemals spontan verlieben würde, sondern die Liebe aus ihren einzelnen Bestandteilen selbst würde konstruieren müssen, mithilfe eines willigen, gleichgesinnten Partners; ihre Lehrzeit in Crossbank, wo sie auf der Grundlage von Bildern, die von der Beobachtung erstellt wurden, vorläufige Klassifikationssysteme für unterirdische Pflanzenspezies entwarf (das vierlappige Peristem, die von einem Sturm freigelegte blasse Pfahlwurzel); ihre erste Begegnung mit Ray, als sie ihre Bewunderung für ihn mit Liebe verwechselte, und ihre ersten körperlichen Intimitäten, wo sie bei Ray eine Zurückhaltung spürte, die fast an Widerwillen grenzte und für die sie die Schuld bei sich suchte; der Verfall ihrer Ehe (sein ewiges Misstrauen, selbst dann, wenn sie nur kranke Freunde besuchen wollte, seine Distanziertheit während ihrer Schwangerschaft) und die Dinge, die sie in dieser schweren Zeit am Leben hielten (ihre Arbeit, lange Spaziergänge vom Haus weg, winterliche Sonnenuntergänge); das Platzen der Fruchtblase, die Wehen und dann die Geburt, die sie benommen und unter Schmerzmitteln im Kreißsaal eines Krankenhauses erlebte, während Ray draußen im Flur einen lautstarken Streit mit einer Schwesternhelferin hatte; das Wunder, das Tess darstellte, die Faszination, das Gefühl, an etwas Göttlichem teilzuhaben (wie ihr Vater sich vielleicht ausgedrückt hätte) im Tausch der Rollen, von der

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