Quarantaene
Schriftsteller, keine Wissenschaftler. »Offen und direkt, aber nicht snobistisch.«
Schon möglich, sagte sie sich, vielleicht aber auch nicht.
Sue fuhr Sebastian, der kein eigenes Auto zur Verfügung hatte, zu Sawyer’s, wo sie bei leichtem Schneetreiben parkten. Der Wind war frisch, die Sonne lugte nur hin wieder aus den Wolkenschluchten hervor. Im Restaurant herrschte eine schläfrige Wärme und Feuchtigkeit.
Sebastian machte sie mit Elaine Coster bekannt, einer mageren, säuerlich dreinblickenden Frau, die nicht viel älter war als Sue selbst, sowie mit Chris Carmody, Letzterer erheblich jünger, groß und etwas grimmig, aber auf zerzauste Weise gut aussehend. Chris war freundlich, Elaine hingegen sagte nach einem schlaffen Händedruck: »Na, Sebastian, in Ihnen steckt ja mehr, als wir gedacht hätten.«
Sue wunderte sich über die Feindseligkeit, ja den Hohn in der Stimme der Frau und über Sebastians offenbar gleichmütige Reaktion.
Serviert wurde das seit der Abriegelung unvermeidliche Mittagessen: Suppe und Sandwiches. Sue gab höfliche Laute von sich, beschränkte sich aber ansonsten darauf, dem Gespräch der anderen zu lauschen. Sie politisierten über Blind Laker Angelegenheiten, unter anderem mit Bezug auf gewisse Spekulationen Ray Scutter betreffend, und machten sich Gedanken über die immer wiederkehrende Frage der Belagerung. Sie tauschten Erinnerungen aus über Leute, von denen Sue noch nie gehört hatte, sodass sie schließlich das Gefühl gewann, das man sie gar nicht mehr auf der Rechnung hatte, obwohl Sebastians Hand die ganze Zeit auf ihrem Schenkel unter dem Tisch lag und sie zur Bestärkung von Zeit zu Zeit drückte.
Schließlich kam ein bisschen Klatsch zur Sprache, mit dem sie etwas anfangen konnte. Es stellte sich heraus, dass Chris bei Ray Scutters Ex wohnte, und Ray offenbar vor ein paar Wochen eine kleine Macho-Show vor der Ambulanz abgezogen hatte. Es klang nach einer typischen Kotzbrockigkeit à la Ray Scutter, und Sue enthielt sich nicht, das zu sagen.
Elaine starrte sie auf enervierende Weise an. »Was wissen Sie über Ray Scutter?«
»Ich leite sein Büro.«
Ihre Augen weiteten sich. »Sie sind seine Sekretärin?«
»Leitende Assistentin. Na ja, gut, Sekretärin im Grunde.«
»Hübsch und talentiert«, sagte Elaine zu Sebastian, der darauf nur sein undurchdringliches Lächeln aufsetzte. Sie konzentrierte sich wieder auf Sue, die gegen den Drang ankämpfte, vor dem Laserblick der Frau zurückzuweichen. »Also, was alles wissen Sie über Ray Scutter?«
»Was sein Privatleben betrifft, nichts. Was die Arbeit betrifft, so ziemlich alles.«
»Er redet mit Ihnen darüber?«
»Gottchen, nein. Ray lässt sich nicht gern in die Karten gucken, hauptsächlich, weil er das Ass der Inkompetenz in der Hand hält. Kennen Sie das, wenn Leute, die überfordert sind, sich mit allerlei Routinearbeit beschäftigen, um wenigstens den Anschein zu erwecken, dass sie sich nützlich machen? Nun, das ist Ray. Er teilt mir nichts mit, aber die Hälfte der Zeit muss ich ihm seinen Job erklären.«
»Wissen Sie«, sagte Elaine. »Es gibt Gerüchte über Ray.«
Oder vielleicht, dachte Sue, bin auch ich überfordert. »Was für Gerüchte?«
»Dass Ray sich in die Server der Leitungsebene einhacken will, um deren E-Mails zu lesen.«
»Oh. Na ja, das ist …«
Ein Summen ertönte. Chris Carmody zog sein Telefon aus der Tasche, wandte sich ab und flüsterte in die Muschel. Elaine warf ihm einen giftigen Blick zu.
Als er sich wieder dem Tisch zuwandte, sagte er: »Tut mir leid, Leute, ich muss los. Marguerite braucht jemanden, der auf ihre Tochter aufpasst.«
»Meine Güte«, sagte Elaine, »machen denn jetzt alle auf Häuslichkeit in diesem Scheißkaff? Sind Sie jetzt seit neuestem Babysitter oder was?«
»Eine Art Notfall, sagt Marguerite.« Er erhob sich.
»Na, dann gehen Sie.« Sie verdrehte die Augen. Sebastian nickte freundlich.
»War nett, Sie kennenzulernen«, sagte Chris zu Sue.
»Ebenfalls.« Er schien wirklich ganz nett zu sein, wenn auch ein bisschen unruhig und abgelenkt. Jedenfalls war er eine angenehmere Gesellschaft als Elaine mit ihrem Röntgenblick.
Den Elaine auch sofort wieder auf sie richtete, als Chris sich vom Tisch entfernte. »Dann ist es also wahr? Ray betreibt verbotene Hackerei?«
»Ob verboten, weiß ich nicht. Er hat die Absicht, es öffentlich bekanntzugeben. Die Idee ist, dass Nachrichten, die vor der Abriegelung auf den Servern eingegangen sind, uns
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