Queenig und spleenig - Wie die Englaender ticken
Herkunft aus der Arbeiterklasse zu vertuschen. TV-Moderatoren und Radiosprecher mussten sich mühevoll ihren Dialekt abtrainieren. Und selbst in ganz gewöhnlichen Stellenanzeigen wurde ausdrücklich ein proper accent verlangt, der „piekfeine Akzent“ also, der im Volksmund Queens English oder BBC English heißt.
Diesen wird man in ein paar Jahren wahrscheinlich allenfalls noch bei Auslandskorrespondenten, Staatsbegräbnissen oder im Empfangssaal des Erzbischofs von Canterbury hören. Moderne Engländer haben nämlich entdeckt, dass das affektierte Näseln der upper class dann doch irgendwie uncool ist und es viel hipper rüberkommt, wenn man wie der einfache Mann auf der Straße klingt. Indem man zum Beispiel ein paar Konsonanten weglässt und ba’a statt butter sagt. Wo’a statt water . Oder chewsday statt tuesday . Oder typische Cockney-Begriffe wie lovely jubbly, alwroight oder darlink in seine Sätze einstreut. Oder – sehr zum Unbehagen der älteren Generation – Kurzformen wie innit für isn’t it („ist es nicht“) benutzt. Mit modernen Engländern sind hier übrigens keineswegs nur gelangweilte Westlondoner Halbwüchsige oder Medienschaffende gemeint, sondern auch Leute wie Ex-Premier Tony Blair, Starkoch Jamie Oliver, Madonnas Ex Guy Ritchie und diverse Britpop Band-Mitglieder. Es gibt für dieses Phänomen auch ein Wort: Mockney – zusammengesetzt aus mock und Cockney (auf Deutsch: falscher oder falsches Cockney ) . So nennt man Leute aus der Mittel- oder Oberklasse, die meinen, sie könnten den Respekt der Arbeiterklasse gewinnen, indem sie genau so sprechen wie diese. Ganz so einfach wie im Deutschen, wo man nur „Er so: Boah, ey!“, „Und ich so: Nee, ne?“ ins Gespräch streuen muss, um zu klingen wie ein veritabler Voll-Proll, ist es aber mit Mockney nicht. Nehmen wir nur ein paar Beispiele aus dem typischen Cockney Reim-Slang: See you alligator heißt wörtlich: „Seh dich Alligator .“ Und sinngemäß: „Bis später!“ Alligator reimt sich auf das Wort later (später) und ersetzt es. Just nippin’ out for a barry! heißt wörtlich: „Nur mal kurz auf einen Barry raussprinten!“ Und sinngemäß: „Ich geh kurz auf die Toilette.“ Wieso? Barry steht für Barry White , was sich auf das Wort shite (Schiss) reimt und es dann ersetzt. A nasty vincent you’ve got there! heißt wörtlich: „Einen gemeinen Vincent hast du da!“ und sinngemäß: „Du hustest aber!“ Es wird hier eingesetzt, weil Vincent für Vincent van Gogh steht, was sich auf cough (Husten) reimt. Genauso funktioniert die Sache mit Your getting on my wick! Wick (Docht) reimt sich auf prick (Schwanz), weshalb das wörtliche „Du gehst mir auf den Docht!“ eigentlich meint: „Du gehst mir auf den Sack!“ Kompliziert? Die Engländer lieben eben kniffligen Wortwitz und sprachliche Kalauer; wie es sich für ein Volk gehört, in dem mehr als die Hälfte aller Haushalte ein Scrabble-Spiel im Schrank haben. Es gibt in London mittlerweile sogar Geldautomaten, deren Bildschirmtexte Cockney, beziehungsweise Mockney sprechen und die statt nach der PIN um die Eingabe des Huckleberry Finn bitten und sausage and mash , also „Würstchen mit Kartoffelbrei“ statt cash anbieten. Ob eine Kamera eingebaut wurde, um ratlose Blicke von Touristen festzuhalten, ist nicht bekannt. Genau genommen sind Mockneys wie Deutsche, die „Hallöchen, Popöchen“ oder „zum Bleistift“ sagen oder Sätze mit Einlagen schlecht imitierter Mundart garnieren („Gell, da glotsch?“), bloß auf höherem Niveau.
Dass Cockney seit ein paar Jahren so populär ist, liegt vielleicht daran, dass die Engländer Angst haben, dass ihre urenglischen Akzente von nichtenglischen Klängen verdrängt werden könnten. In London breitet sich zum Beispiel dank der vielen Immigranten ein Kauderwelsch aus Englisch, Jamaikanisch, Indisch und Rap aus. Jafaican , auch Tikkiny genannt, wird vorwiegend von weißen middle class Jugendlichen mit schlechten Dreadlocks und tiefergelegten Jeans gesprochen, die glauben, sie seien gangstas aus einem jamaikanischen Ghetto. Wer alle Folgen der TV Serie The Wire über Drogenhandel in Baltimore im Original gesehen hat, versteht zumindest im Ansatz, was mit Safe, man („Hallo“), Rah, das nuff nang! („Das ist gut“), Mek wi njam („Wollen wir was essen?“) oder Mi nuh like fi bowcat („Ich möchte keinen Oralsex“) gemeint ist und kann entsprechend handeln.
Wenn ein Wort sich nicht im Englisch-Deutsch-Wörterbuch
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