Quelle des Unheils
verstanden, worauf Cam hinaus wollte: Jener Mann, der Mörder ihres Vaters, der große, bärtige Kerl, vor dem man sie gewarnt hatte, trug auch Stiefel, fette, schwere Stiefel, sogar in der brütenden Hitze des Sommers.
Aber teilte wer auch immer von ihm hierher geschickt wurde, um sie zu schnappen, automatisch seine Vorliebe für abgefahrene Schuhmode? Quatsch, beschloss Alex, fest entschlossen, sich in Cades Gedanken einzuklinken, um Cam zu beweisen, wie falsch ihre Vermutung war.
Doch es gelang ihr nicht. Der Kopf des coolen Jungen war dunkel, außer Betrieb. Irgendetwas rührte sich dort in der Finsternis, ein vernichtendes Geheimnis, das Alex nicht entschlüsseln konnte. Ihr wurde klar, dass sie es nicht lesen konnte, weil Cade sich weigerte darüber nachzudenken. Er verbarg etwas, nicht nur vor ihr, sondern auch vor sich selbst. Cam verfolgte ein ähnliches Ziel. Cade war ein Fremder. Nur Kristen schien etwas über ihn zu wissen - und zwar nicht besonders viel. Alex fühlte sich sichtlich von ihm angezogen, schlug sie deshalb Cams Bedenken aus? Sperrte Alex sich der Erinnerung an jenen Furcht erregenden Typ, dem sie in der Nacht begegnet waren, in der Ileana und der Polizist Karsh sie gerettet hatten ?
War Cade der Bote des Mörders ?
Cam sah mit einem Mal nur noch verschwommen. Das übliche allgemeine Chaos im Gang vor den Klassenzimmern verblasste, während ein Pochen in ihren Ohren lauter wurde. Obschon sie wusste, was geschah, zitterte sie. Dies Pochen kannte sie schon aus der Zeit, bevor sie Alex getroffen hatte, aber niemals in dieser Eindringlichkeit, in der sie es seither erlebte. Schon bald würde sie etwas sehen oder wissen, was sie unmöglich sehen oder wissen konnte.
Cams Magen zog sich zu einem Knoten zusammen. Dann ... Undeutlich erkannte sie rotes Metall. Scheinwerfer, die auf sie zurasten. Ein Auto, das eine schmale Straße entlangfuhr. Schrille Stimmen, schreiend ... lachend. Eine Hand griff nach ihrer. Cam schnappte nach Luft, zwang sich, die Augen zu öffnen. »Hast du das gesehen?«, flüsterte sie Alex zu, die sich an ihr festklammerte.
»Nein«, erwiderte ihre Schwester leise und aufrichtig. »Ich habe es versucht, aber ich konnte nichts erkennen.«
Kapitel 5 - ZUSAMMENPRALL IM GANG
»Leute«, rief Brianna ungeduldig in der Pause, »wir gehen was Essen. Kommt ihr?«
»Sofort«, sagte Alex. Die Schüler strömten aus ihren Räumen, jemand rempelte sie an. Alex reagierte nicht darauf. »Du siehst fürchterlich aus«, flüsterte sie Cam zu.
»Kann ich doch nichts für, wir sind eben Zwillinge«, erwiderte Cam mit einem schwachen Grinsen. »Wir treffen uns unten«, sagte sie an ihre wartenden Freundinnen gewandt. »Ganz nach Belieben.« Beth war verstimmt. Dylan ging mit einigen seiner Freunde an ihnen vorüber. »Bis dann«, rief er, während sich der Rest des Six Packs ihm und seiner Truppe in Richtung Cafeteria anschloss. »Ich habe etwas gesehen«, gestand Cam, sobald die anderen außer Sichtweite waren. »Aber ich habe keine Ahnung, was es bedeuten könnte oder ob es irgendetwas mit der Warnung zu tun hat, die wir bekommen haben.« Erschöpft lehnte sie sich an die Wand.
»Schon in Ordnung. Hol erst mal tief Luft«, riet Alex. »Wir kriegen das nachher bestimmt raus.«
Massen von Schülern schoben sich an ihnen vorbei, erzählten sich ihre Ferienerlebnisse, verglichen Lehrer und Stundenplane. Hier und dort bildeten sich kleinere Gruppen, die den Verkehr aufhielten und ins Stocken brachten. Ein Junge wurde auf seinem Weg von Ausrufen begleitet: »Hey, pass doch auf!«, »Vorsicht!«, »Immer mit der Ruhe, Mann!« Er war massig, mit kleinen Augen und geschorenem, stoppligem Schädel. Ihm folgte eine Gruppe von Typen, die ihn anstachelten.
»Wer ist das denn ?«, fragte Alex, während sich der breitschultrige Kerl mit den Ellenbogen einen Weg durch die Menge bahnte. »Sein Nacken ist ja dicker als meine Taille.«
»Eddie Robins«, erwiderte Cam. »Er ist in der Football-Mannschaft. Ein ziemlicher Scheißkerl.«
»Wow«, staunte Alex. »Wenn du solche Worte in den Mund nimmst, dann muss er schon wirklich schlimm sein.« Sie sahen, wie der grinsende Eddie bösartig ein unscheinbares Mädchen mit dicken Brillengläsern anrempelte, das gerade mal halb so groß war wie er.
»Schlimm genug?«, fragte Cam. Der Stoß hatte das schmale Kind aus dem Gleichgewicht gebracht. Es stürzte auf den Boden. Die umstehenden Schüler wichen zurück, versuchten nicht auf sie zu treten, während
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