Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
und dem positiv aufgeladenen Sonnenbild zu verdeutlichen«. Genauso hatte er es in dem Investorenprospekt formuliert. Dieser Ort würde nicht mehr das sein, was er einmal war. Sie kauften Grundstücke, sie wandelten eigenes Bauerwartungsland in Bauland um, sie sammelten Geld von Reichen, die durch die Finanzkrise verängstigt waren und ihr Geld in ›Betongold‹ anlegen wollten, seitdem dubiose Steuer-CDs ihr schwarzes Geld in den Nachbarländern transparent hatten werden lassen. Kitzbühel und Sylt – das waren ihre Vorbilder. Orte, wo reiche Menschen alles kauften, was vier Wände und ein Dach besaß. Nie mehr sollten die Busladungen aus dem Ruhrgebiet und dem Osten voll mit Rentnern das Stadtbild prägen. Hier würden sich die erholen, die sich nie totschuften mussten, aber dennoch ›ausgebrannt‹ waren. Das Volumen ihres Plans lag in einem dreistelligen Millionenbetrag. »Stellen Sie sich Bad Wiessee wie den alten Audi 80 vor, einen Wagen für Rentner mit Wackeldackel und Strickklorolle auf der Rückbank. Dann wird geliftet, abgespeckt, aufgepimpt – und plötzlich ist es das Produkt des erfolgreichsten Autokonzerns mit Fahrzeugen, die jeder im mittleren Management haben will.« So hatte Brunner auf einer diskreten Veranstaltung für potenzielle Investoren geredet. Hatte extra einen abgehalfterten TV-Moderator eingeladen, der ihm brav und für ein hohes Honorar alles bestätigte. Der Bürgermeister hatte die Kräne vor Augen, die bald das Stadtbild prägen würden. Brunner sah seine Firma, die jetzt aus ihm, seiner Frau, einer verblühten Seeschönheit, und seiner Assistentin und Geliebten bestand, zu einem Top-Makler-Franchise aufsteigen. Wenn er es hier schaffen würde, so sagte er seiner Frau immer, dann würde er es auch woanders an die Spitze schaffen.
Aber Stangassinger und Brunner hatten nur ihre Kontakte und ihre Ideen. Schlickenrieder, der Kabelleger und Glühbirneneindreher, der hatte das, was sie brauchten: die Filetgrundstücke oberhalb des Sees und vor allem unten am Ufer. Schon jetzt hatten sich dort einige der reichen Münchner Grundstücke gesichert. Trotz scheinbar rigider Bauordnung war es in der Vergangenheit zu architektonisch-ästhetischen Katastrophen gekommen. Einer hatte seiner Frau, die ein abgebrochenes Architekturstudium vorzuweisen hatte, freie Hand gegeben. Das Resultat wurde im Ort als ›Bistrosteg für Bekloppte‹ verlacht.
Es blieb wenig Zeit. Das Ufer war bald besetzt. Und genau da sollten die Standorte sein für die Ayurvedaklinik und die Sternegastronomie eines umtriebigen TV-Kochs. Es gab nur einen Haken: Diese Grundstücke gehörten noch Schlickenrieders Großvater, der sabbernd und lallend in einem Altersheim lag und nicht sterben wollte. Aber Schlickenrieder hatte versprochen, dass sich das bald erledigen würde. Er besäße eine Vollmacht.
Sie waren alle müde. Die vergangenen Monate hatten aus endlosen Bürgerversammlungen, Sitzungen mit Bürgerinitiativen, Hinterzimmergesprächen und Bordellbesuchen bestanden. Sie hatten gedroht und geschmeichelt, geschmiert und mundtot gemacht. Aber jetzt, am Ende des Jahres, unmittelbar vor dem Ziel, durften ein gefällter Baum und eine Leiche kein Hindernis mehr darstellen.
»Wer redet mit dem Birmoser?«, fragte Stangassinger.
Schlickenrieder war sauer. Sie hatten genug geredet. »Ich nehme mir den Kiffer vor.«
Stangassinger schob seinen Teller beiseite. »Warum liegt der Hund, diese Leiche, da oben? Das ist doch kein Zufall. Unsere Großväter haben doch nicht etwa einen Wehrmachtsoldaten totgeschlagen? Waren doch selber welche. Du musst mit dem Alten reden. Vielleicht hat er einen lichten Moment. Wann bist du wieder bei ihm?«
Schlickenrieder sah zu Brunner, der ihn ausdruckslos ansah. Schlickenrieder musste die aufkommende Wut, die wie eine giftige Woge in ihm hochschoss, unterdrücken. Er schloss die Augen. Sie behandelten ihn immer noch wie einen Laufburschen. »Übermorgen.«
»Und wir müssen mit der Anwältin reden. Ich will alles wasserdicht haben. Verstehst du? Das ist keine Baustelle, wo man in zeitlichen Verzug gerät, weil ein Geselle ausfällt. Das ist Business.«
Schlickenrieder verabschiedete sich nicht. Auf dem Weg zu seinem Auto sah er, wie der Fußballpräsident aus seinem Haus trat und die Einfahrt hinunterlief. Eine Lichtschranke erleuchtete plötzlich den freigeschaufelten Weg. Schlickenrieder selbst hatte sie installiert. Der Präsident hatte ihm damals zwei Freikarten für ein Spiel in der
Weitere Kostenlose Bücher