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Quitt

Quitt

Titel: Quitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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– sie konnte nicht wissen, was geschehen war, und sie wußt es doch. Daß er von ihr nichts zu befürchten habe, das bewies das Papier, das er in Händen hielt, und doch konnt er sich eines Gefühls banger Unruhe nicht entschlagen. Erst hatte die Mutter in Andeutungen gesprochen und nun Christine. Wenn er vor aller Welt
der
war, gegen den sich der Verdacht wie von selbst richten mußte, so war er verloren oder hatte doch auf lange hin einen schweren Stand. Er war müde von dem vielstündigen Bergauf und Bergab, aber seine Erregung war doch so stark, daß es ihn zu Hause nicht litt. Er mußte wieder hinaus, und die Frage war nur, »wohin?« Am nächsten lag ihm Vater Brauner, in dessen Ausschank »Zur Rabenklippe« die Holzknechte zu verkehren und sich bei einer Stonsdorfer oder einem Ingwer gütlich zu tun pflegten; aber das war keine Gesellschaft, die heute für ihn paßte. »Was macht Opitz?« oder »Ist Opitz noch immer gut bei Wege?« Das waren Fragen, die sich hier in zurückliegender Zeit, und noch ganz vor kurzem, mehr als einmal und mitunter mit ganz besonderer Betonung an ihn gerichtet hatten, und er erschrak bei dem Gedanken, daß sie sich auch heute wieder an ihn richten könnten. Das sollte nicht sein, und so beschloß er denn, statt in die »Rabenklippe« lieber ein paar tausend Schritte weiter bis zu Exners in die »Schneekoppe« zu gehen und in der wohlbekannten niedrigen Gaststube mit Gebirgsführern und Sesselträgern oder vielleicht auch mit alten Kriegskameraden, was immer das beste war, einen Diskurs zu haben. Denn er sehnte sich danach, eine Stimme außer seiner eigenen zu hören und von seiner Unruhe loszukommen. Er griff denn auch bald nach seiner Soldatenmütze, die neben dem Gewehr und dem alten Kalender am Riegel hing, und schritt auf Krummhübel zu. Halben Weges zwischen Brückenberg und der Obermühle trat er von dem tiefer gelegenen Wolfshau her auf den eine lange Schräglinie bildenden Fahrweg und sah nun einerseits nach Kirche Wang hinauf und andererseits nach Dorf Krummhübel hinunter, dessen weiße Giebel, trotz der schon herrschenden Dämmerung, in aller Deutlichkeit aus den vereinzelten Baumgruppen hervorblinkten. Der am deutlichsten blinkende Giebel aber war der von Exners »Schneekoppe«, und das helle Licht, das er dicht über der Straße flimmern sah, kam aus eben der Gaststube, drin er sich gütlich tun und hören und sprechen und alles, was ihn quälte, nach Möglichkeit vergessen wollte. Zwischen ihm und Exner lag nur noch der Gerichtskretscham und das kleine katholische Kapellchen mit seinem Sparrenwerk und seinem rotgestrichenen Dache.
    Der Abend fiel rasch ein, und nur über Arnsdorf, tief unten im Tal, hing noch ein rotes Gewölk, vor dem der Schattenriß eines Kirchturms aufragte. Rechts daneben zog sich ein langes, schloßartiges, matt erleuchtetes Fabrikgebäude, dessen Fenster durch den Abendnebel hin gespenstisch flimmerten. Lehnert, der rüstig zuschritt, schickte sich eben an, die Fenster des obersten Stocks zu zählen, als er heftig zusammenschrak. Das Kapellchen, an das er bis auf fünfzig Schritt heran war, begann gerade zu läuten, und die zwischen dem Sparrenwerk hängende Glocke klang mit ihrem dünnen Tone hell und scharf durch die Luft. Es war dasselbe Läuten, das gestern, bald nach seiner Rast am Quell, vom Tale her zu der Kammhöhe hinaufgedrungen war, und unwillkürlich hielt er an und suchte, während er sich rückwärts wandte, die Stelle, drauf er gestern um eben diese Stunde gestanden hatte. Da war auch die Sichel wieder, und so schwach in diesem Augenblick ihr Licht war, so war es doch hell genug, den Weg am »Gehänge« hin deutlich zu zeigen, auf dem er gestern um fast dieselbe Zeit emporgestiegen war. Und dort war die Stelle, wo der Seitenpfad, an dem Brunnen vorüber, in scharfer Biegung abbog, und er mühte sich, ob er die nach der Hampelbaude hinüberführende Querlinie vielleicht verfolgen könne. Jetzt war sie da, die Linie, und jetzt wieder nicht, je nachdem die Phantasie mit ihm spielte, bis er mit einem Male einen Aufblitz und ein Rauchwölkchen sah und gleich danach den Widerhall eines Schusses durch die Berge rollen hörte.
    Die Sinne vergingen ihm fast. Aber ein viel Erschütternderes harrte seiner im nächsten Augenblicke, denn ehe noch das Rollen von Schlucht zu Schlucht verhallen konnte, klang es deutlich vom Berge her zu Tal: »Hilfe!«
    Lehnert hielt sich an dem das Kapellchen samt seinem dazugehörigen Schulhaus einfassenden

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