Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Quitt

Quitt

Titel: Quitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:
Heckenzaun und horchte hinauf, ob sich der Ruf wiederholen würde. »Ja«, »nein«, und dann wieder »ja«. Und von einer furchtbaren Angst geschüttelt, war er bald nur noch von dem einen Verlangen erfüllt, die Stimme von da oben nicht mehr zu hören, dem Hilferuf zu entfliehen. Aber wohin? Exner, das ganze Dorf, alles schien ihm noch im Bereich der Stimme zu liegen, im Bereich des Hilferufes da oben vom Gehänge her, und so lief er denn weiter bergab, um die Nacht in Arnsdorf, oder wo's sonst sei, nur weit, weit ab zu verbringen.
    Er war schon halb bis nach Arnsdorf heran und wollte eben in ein Wäldchen einbiegen, das die Krummhübler das »Birkicht« nennen, als er, andern Sinnes werdend, plötzlich in seiner Flucht anhielt und sich auf einen der vielen Baumstämme setzte, die hier, am Waldsaume hin, aufgeschichtet lagen.
    »Es geht nicht. Ich kann so nicht weiter. Er lebt, es war.
seine
Stimme... Um Gottes Barmherzigkeit willen, vierundzwanzig Stunden... soviel tausend tausend Sekunden... Ich muß es anzeigen, daß ich einen Hilferuf gehört habe... bei Zölfel oder Exner oder im Gerichtskretscham. Und sie müssen diese Nacht noch hinauf, diese Stunde noch.«
    Und nun schwieg er, weil ihm mit einem Male der Gedanke kam, daß er sich, wenn er spräche, verraten werde. Bald aber nahm er sein Vorhaben wieder auf.
    »Nein, ich werde mich nicht verraten. Gerade, daß ich es sage, das wird mich retten und wird alle Welt glauben machen, daß ich schuldlos sei. Bin's auch... Und wenn er mich erkannt hat? Er hat mich nicht erkannt. Und Vermutung ist kein Beweis. Und wenn doch? Nun denn, dann mag mir das Messer an die Kehle gehen. Ich kann ihn nicht verkommen lassen in seiner Not und seinem Blut.«
    Und er wandte sich wieder und stieg die zurück nach Krummhübel führende Berglehne fast noch schneller hinauf, als er hinabgekommen war, und zehn Uhr war noch nicht heran, als er vor Exners »Schneekoppe« hielt. Da wollt er hinein und sah durch die Fenster. Aber es waren zu viele Fremde da; so stieg er denn weiter hinauf, bis er an den Gerichtskretscham kam. Da war es stiller und nur Einheimische da, was ihm paßte. Vorher aber übersann er noch einmal in aller Vorsicht, was er sagen wolle. Da war denn das nächste, was ihm einfiel, daß er das Rufen nicht schon vor einer Stunde gehört haben dürfe, sondern in diesem Augenblick erst. Und nun trat er ein und machte Meldung und begrüßte Maywald und Neigenfink und den alten Gerichtsmann Klose, die sich eben zum Skat niedergesetzt hatten.
    Aber keiner rührte sich, und das Spiel ging weiter. »Grand mit vieren«, sagte der alte Gerichtsmann. »Und nun komm, Lehnert, und sieh mit hinein, verstehst es ja, so was lernt man bei den Soldaten... Und gerufen hat es, sagst du... Das sind Fremde... junge Leute... Heute früh kamen Breslauer hier durch, ein ganzes Rudel, Gymnasiasten, oder wohl gar welche von der Kunstschule. Das ist dann ein ewiges Singen und Rufen. Und das verdammte Schießen dazu... Soll eigentlich nicht sein... Und wenn Opitz mal einen packt, dann is er sein Terzerol los oder auch seinen Revolver. Denn ohne Revolver geht es heutzutage nicht mehr... Du gibst, Maywald. Aber was Ordentliches... Dann is er sein Terzerol los, sag ich, und die Geldstrafe hat er dazu... Wetter, ist das ein Blatt! Aber das kommt von solchen Geschichten, da grault sich 'ne gute Karte... Nimm einen Stuhl und rücke ran, Lehnert, und hilf mir aus der Patsche.«
    »Kann nicht, Gerichtsmann Klose«, sagte Lehnert. »Ich war heute schon drüben und bin müde zum Auslöschen... Und Ihr meint also, es wäre nichts und man hätte keine Pflicht, hinaufzusteigen und nachzusehen? Von dem Schuß will ich nichts sagen, geschossen wird immer. Aber das Rufen. Es klang so, ja, wie sag ich, es klang so, wie wenn es was wäre.«
    »Ja, wie wenn es was wäre«, lachte Klose, während Maywald zustimmte, »was ›sein‹ wird es wohl. Aber was? Ein Kommis, der seines Prinzipals Gelder zu früh einkassiert hat, und mit ihm eine Theaterprinzeß, und die sind nun längst oben und trinken einen Schlummerpunsch.«
    Es war Lehnert nicht unlieb, die Skatherren, die zugleich zu den Dorfhonoratioren zählten (denn auch Neigenfink, der sich übrigens zurückhaltender verhielt, war Gerichtsmann), so leichthin sprechen zu hören. Es gab ihm einen Teil seiner Ruhe wieder. »Sie haben am Ende doch recht. Und eigentlich kann's auch nicht anders sein. Es ist schon zu lange her... Aber wenn es
doch
wäre... wenn es doch

Weitere Kostenlose Bücher