Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Quitt

Quitt

Titel: Quitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:
wie wenn ihre Hochzeit wär!«
    Wirklich, es war drinnen im Hause lebendig geworden, und Lissi ging hinein und überließ Lehnert seinem Frühstück und seinen Betrachtungen, die nicht freundlich, aber auch nicht traurig waren. Gestern, als er hier ankam, war er in einer vollständigen Erschöpfung gewesen, und das Geschehene hatte noch mit all seinem Graus auf ihm gelastet. Das war aber über Nacht anders geworden, vier Stunden festen Schlafs hatten ihm seine Spannkraft und Energie zurückgegeben und ließen ihn jetzt das Behagen an einem gut besetzten Frühstückstische voll genießen. Was alles in allem überhaupt kein Wunder nehmen konnte. Denn wenn er schon, wie soviel andere, die Fähigkeit hatte, sich die Dinge, auch die schlimmsten, nach seinem Wunsch und Gebrauch zurechtzulegen, so war, im besonderen, alles, was sich gestern abend ereignet hatte, so wunderbar glücklich für ihn verlaufen, daß selbst ein zu Trugschlüssen und Spiegelfechtereien minder geneigter Charakter als der seine Veranlassung gehabt hätte, sich über Gewissensskrupel einigermaßen hinwegzusetzen. Was er vorgehabt hatte, nun, darüber mochte sich streiten lassen, was sich aber tatsächlich ereignet hatte, war nichts als ein Akt der Notwehr gewesen. Opitz hatte den ersten Schuß getan, und wenn dieser Schuß versagt und nun ihm das Spiel in die Hand gegeben hatte, so war das so recht ein Zeichen, das ihn in seinem Gemüt beruhigen durfte. Das Frühere, mit der Begegnung oder Nichtbegegnung und dem Gottesurteil, das darin liegen sollte, das war etwas Ausgeklügeltes gewesen, jetzt aber war Gott aus freien Stücken für ihn eingetreten und hatte gegen Opitz entschieden. Er seinerseits war nur Werkzeug gewesen, dessen sich die Vorsehung zur Abstrafung eines bösen Menschen bedient hatte.
    Dies waren so die Vorstellungen, in denen er sich erging und die so stark waren, daß selbst die Stimme des Mitleids darin erstickte. Nur an die Frau dacht er mit Teilnahme. »Sie war immer gut gegen mich; aber sie wird sich trösten und nach Jahr und Tag
dem
vielleicht danken, der's tat und sie mit befreite. War sie doch eine Kreuzträgerin, und das tägliche Brot, das sie hatte, war ein Tränenbrot.«
    Und nun war sein Frühstück beendet, und er trat eben aus der Laube heraus, um seinen Weg, er wußte noch nicht wohin, fortzusetzen, als dieselbe Madame, deren Stimme sich schon vor einer halben Stunde mit einem so scharfen Ton angekündigt hatte, in einer merkwürdigen Mischung von Nacht- und Morgenkostüm auf ihn zukam und ihn fragte, ob er sie vielleicht, über den Kamm weg, bis nach Schreiberhau hinführen und dabei das Gepäck tragen wolle.
    Lehnert, der nie Führerdienste geleistet hatte, suchte noch nach einer möglichst artigen Form der Ablehnung, als ihn die plötzliche Dazwischenkunft eines in seiner Erscheinung die Dame noch weit in den Schatten stellenden älteren Herrn aller unmittelbaren Antwortsbenötigung überhob. Natürlich war es der Eheherr. Seine nach oben hin jeden Halts entbehrenden Beinkleider fielen, nach unten zu, ganz nach Art einer französischen Artilleriehose, faltenreich über den Spann und bedeckten hier die Mittelteile seiner Plüschpariser von ponceauroter Farbe. Sonstige Mängel verbargen sich hinter einer dunkelgelben, mit einem springenden Panther ausgestatteten Reisedecke, die königsmantelartig um seine Schultern geschlagen war.
    »Ja, lieber Pfadfinder«, nahm der so plötzlich Hinzugekommene das Wort, »nach Schreiberhau hin. Selbstverständlich über den Kamm, und zwar mit allen Schikanen, worunter ich Aussichtspunkte verstehe. Was mich persönlich angeht, so bin ich entschieden für den ›Mittagsstein‹, ein Wort, das immer angenehm berührt, wenn auch schließlich nicht viel daraus wird, meine Frau, geborne Lezius, aber wird wohl für die ›Große Sturmhaube‹ sein. Oder wenigstens für die kleine. Nicht wahr, Ulrike?«
    Lehnert hatte sich mittlerweile sein »Nein« zurechtgelegt und sagte, daß er's beim besten Willen nicht übernehmen könne, auch nicht einmal dürfe. Wenn er aber einem Führer begegne, so werd er ihn schicken. An der Riesenbaude gäb's ihrer immer ein halbes Dutzend. Das Ehepaar schien damit einverstanden, und eine Zigarre, die der Lohn dieser Auskunft war, wurde von Lehnert dankend und lächelnd angenommen. Dann empfahl er sich und ging auf die Riesenbaude zu. Hier angekommen, entledigte er sich seines Auftrages und bog dann, an der Aupa hin, in den Riesengrund ein, sich berechnend,

Weitere Kostenlose Bücher