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Quo Vadis

Quo Vadis

Titel: Quo Vadis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk Sienkiewicz
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der Dankbarkeit unfähig war.
    Lygia ging voll innerer Sorge und Angst hinweg. Bisher hatte sie in ihren Gebeten Gott ein ruhiges, wahrhaft reines Herz entgegengebracht. Diese Ruhe war jetzt dahin. In den Kelch der Blume war ein giftiges Insekt gedrungen und bewegte sich dort. Selbst der Schlaf konnte ihr keine Hilfe bringen, obwohl sie die beiden letzten Nächte kein Auge geschlossen hatte. Ihre Träume versetzten sie nach dem Ostrianum, wo Nero an der Spitze einer Schar von Anhängern, Bacchantinnen, Korybanten und Gladiatoren mit seinem rosenbekränzten Wagen über eine Menge von Christen hinwegfuhr; Vinicius ergriff sie am Arm, riß sie an die Quadriga, preßte sie an seine Brust und flüsterte ihr zu:
    „Komm mit uns!“

XXVII
    Von da an ließ Lygia sich seltener in der gemeinsamen Stube sehen und trat weniger oft an Vinicius’ Lager. Trotzdem wollte der Friede nicht wieder bei ihr einkehren. Sie bemerkte den flehenden Blick, mit dem Vinicius sie verfolgte und damit um ein Wort wie um eine Gunst bat; sie sah, daß er litt und nicht zu klagen wagte, da er sie damit zu verscheuchen fürchtete, sah, daß seine Genesung nur von ihr abhing. Ihr Herz füllte sich mit Mitleid. Bald bemerkte sie, daß ihr Mitleid zunahm, je mehr sie ihm aus dem Wege ging, und dieses Bewußtsein selbst war dazu angetan, ihre Gefühle für ihn noch zärtlicher zu machen. Der Friede floh sie. Zuweilen dachte sie, es sei ihre heilige Aufgabe, stets in seiner Nähe zu bleiben, schon deshalb, weil ihr Glaube befahl, Böses mit Gutem zu vergelten, dann auch, um ihn für das Christentum zu gewinnen. Doch ihr Gewissen warf ein, nur ihre Liebe zu ihm, der Zauber, den er auf sie ausübte, gebe ihr diese Gedanken, und sie würde sich dabei der Verfolgung aussetzen. So lebte sie in beständigem, täglich schwererem innerem Kampf. Oft war es ihr, als ob sie in ein Netz sich verschlinge, in das sie sich durch den Versuch, sich zu befreien, immer mehr verstricke. Sie konnte sich nicht verhehlen, daß ihr seine Stimme immer teurer, sein Anblick immer unentbehrlicher wurde, daß sie ihre ganze Willenskraft gegen das Verlangen aufbieten müsse, sich neben sein Lager zu setzen. Sooft sein Blick bei ihrer Nähe zu leuchten begann, füllte Lygias Herz sich mit Wonne. Einmal bemerkte sie auf seiner Wange Spuren von Tränen, und zum erstenmal in ihrem Leben kam ihr das Verlangen, diese wegzuküssen. Erschrocken über den bloßen Gedanken, weinte sie die ganze folgende Nacht.
    Vinicius blieb geduldig, als hätte er sich dazu durch ein Gelübde verpflichtet. Wenn auch zuweilen seine Augen vor Trotz, Eigensinn und Zorn blitzten, so bezwang er sich sofort und blickte erschrocken und wie um Vergebung bittend zu ihr auf. Das rührte sie noch mehr. Niemals fühlte sie sich so heiß geliebt wie in solchen Augenblicken, so schuldig und so selig zugleich. Vinicius war tatsächlich verändert. Weniger Stolz klang durch seine Gespräche mit Glaukos. Es kam ihm sogar der Gedanke, auch dieser arme Sklave und Arzt Glaukos, die Ausländerin Miriam, die ihn aufmerksam pflegte, und Crispus, den er in unaufhörliches Gebet versunken sah, seien immerhin auch Menschen. Er war verwundert über seine Verwandlung, aber sie war eingetreten. Für Ursus empfand er bald Zuneigung, so daß er tagelang sich mit ihm unterhielt; denn mit ihm konnte er von Lygia sprechen. Der Hüne seinerseits war unerschöpflich im Erzählen, und auch er begann bei den geringsten Diensten, die er dem Kranken erwies, eine gewisse Zuneigung für ihn zu verraten. Lygia hatte in Vinicius’ Augen von Anfang an für ein Wesen höherer Art gegolten, hundertmal höher als alle in ihrer Umgebung; nichtsdestoweniger fing er an, die einfachen und armen Leute um sie herum zu beobachten – was ihm früher niemals eingefallen wäre –, und entdeckte bei ihnen verschiedene Eigenschaften, deren Vorhandensein er nicht im Traume geahnt hätte.
    Nazarius dagegen blieb ihm unausstehlich; denn er glaubte, dieser junge Bursche habe gewagt, sich in Lygia zu verlieben. Lange hielt er seine Abneigung gegen ihn verborgen, doch einmal, als Nazarius Lygia zwei Wachteln brachte, die er auf dem Markt für sein selbstverdientes Geld erstanden hatte, kam in Vinicius der Nachkomme der Quiriten zum Durchbruch, in dessen Augen ein Eingewanderter aus fremdem Volke wertloser war als der niedrigste Wurm. Als er Lygia danken hörte, schwoll seine Zornesader an, und sobald Nazarius hinausgegangen, um Wasser für die Wachteln zu holen, sagte

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