Quo Vadis
er:
„Lygia, warum duldest du, daß er dir Geschenke macht? Weißt du nicht, daß die Griechen Leute seines Volkes ‚jüdische Hunde‘ nennen?“
„Wie die Griechen sie nennen, weiß ich nicht. Aber ich kenne Nazarius als einen Christen und als meinen Bruder.“
Dabei blickte sie ihn verwundert und traurig an; denn er hatte sich derlei Ausbrüche abgewöhnt gehabt. Er preßte die Zähne aufeinander, um ihr nicht bekennen zu müssen, daß er einen solchen Bruder mit Ruten schlagen oder als Compeditus, einen, der mit angekettetem Fuß arbeiten muß, in seinen sizilianischen Weinbergen graben lassen würde. Er bezwang sich, schluckte den Zorn hinunter und sagte:
„Vergib mir, Lygia. Für mich bist du eine Königstochter und das Pflegekind des Plautius.“
Und er bezwang sich so sehr, daß er Nazarius, sobald er wieder ins Zimmer trat, versprach, nach der Rückkehr in sein Haus ihm ein Paar Pfauen oder Flamingos zu schenken, von denen er viele besaß.
Lygia fühlte, wie schwer ihm der Sieg über sich selber gefallen sein mußte. Doch je öfter er solche Siege errang, desto mehr wandte sich ihr Herz ihm zu.
Sein Verdienst bei dieser Gelegenheit war in Wirklichkeit nicht so groß, wie sie voraussetzte. Vinicius konnte einen Augenblick über Nazarius zornig, doch nicht eifersüchtig auf ihn sein. Miriams Sohn war in seinen Augen nicht mehr denn ein Hund; zudem war er noch ein Knabe, der, wenn er Lygia liebte, es nur unbewußt tat. Größere Befürchtungen mußte dem jungen Tribunen, wenn er auch darüber schwieg, die Ehrfurcht erwecken, mit der man Christi Namen und Lehre behandelte. In dieser Hinsicht gingen merkwürdige Gedanken durch seinen Sinn. Das war jedenfalls die Religion, der Lygia anhing. Darum allein war er schon bereit, sie gleichfalls anzunehmen. Je mehr er der Genesung entgegenging, desto häufiger ließ er die ganze Reihe von Ereignissen seit jener Nacht im Ostrianum, die ganze Reihe der Gedanken, die sich ihm seitdem aufgedrängt hatten, an seinem Geiste vorüberziehen, desto mehr auch staunte er über die unbegreifliche Macht eines Glaubens, der die Seele der Menschen so von Grund aus umwandeln konnte. Er begriff, daß etwas Ungewöhnliches, etwas zuvor nie Dagewesenes darin liegen müsse; er fühlte, daß, wenn diese Religion der Liebe die Welt erobern sollte, eine Epoche anbrechen müßte, die an das Zeitalter des Saturnus erinnerte. Er wagte nicht, an Christi göttlicher Natur oder seiner Auferstehung oder den übrigen Wundern zu zweifeln. Die Augenzeugen dieser Wunder waren zu glaubwürdig, haßten die Lüge zu sehr, als daß er hätte meinen können, sie erzählten erfundene Dinge. Die Zweifelsucht der Römer tastete zwar die Götter, nicht aber die Wunder an. Vinicius stand vor einem Rätsel, dessen Lösung er nicht zu finden wußte. Andererseits wieder erschien ihm diese Religion der gegenwärtigen Weltordnung feindlich, unbefolgbar im praktischen Leben und außerordentlich widersinnig. Nach seiner Ansicht mochten die Menschen in Rom, auf der ganzen Welt schlecht sein – die Ordnung der Dinge aber war gut. Wäre zum Beispiel Nero ein Ehrenmann, der Senat aus Männern wie Thraseas zusammengesetzt statt aus unfähigen Lüstlingen, was bliebe noch zu wünschen übrig? Nein, Roms Frieden und Oberherrschaft waren gut, der Rangunterschied zwischen den Menschen nötig und gerecht. Diese Religion jedoch, soweit er sie kannte, müßte jede Ordnung, jede Oberhoheit, jeden Rangunterschied aufheben. Was sollte da aus der römischen Weltherrschaft werden? Konnten die Römer aufhören zu herrschen? Konnten sie besiegte Völker für gleichberechtigt mit ihnen anerkennen? Das ging über die Begriffe eines römischen Patriziers. Auch war dieser Glaube seinen persönlichen Ideen und Gewohnheiten, seinem Charakter, seiner ganzen Lebensauffassung entgegengesetzt. Es schien ihm ganz un möglich weiterzuleben, wenn er diese Religion annähme. Er bewunderte und fürchtete sie zugleich; seine Natur aber empörte sich dagegen, sie anzunehmen. Dabei erkannte er, daß diese Religion allein ihn von Lygia trenne. Das genügte ihm, um den neuen Glauben aus voller Seele zu hassen.
Trotz alledem mußte er gestehen, daß dieser Glaube es war, der Lygia mit ausnehmender, unbegreiflicher Schönheit schmückte, die in ihm neben Liebe Achtung, neben Begierde Ehrfurcht erzeugt und sie zum Liebsten gemacht hatte, was er besaß. Und abermals wünschte er, Christus zu lieben. Er wußte, daß er ihn entweder hassen oder lieben
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