Quo Vadis
Appischen Straße hatte der Korso reichgeschmückter Wagen begonnen. Ausflüge nach den Albanerhügeln waren an der Tagesordnung. Junge Frauen verließen unter dem Vorgeben, Juno in Lanuvium oder Diana in Aricia zu verehren, ihr Heim, um Abenteuer, Gesellschaften, Versammlungen und Vergnügungen Roms aufzusuchen. Eines Tages erblickte Vinicius unter anderen herrschaftlichen Wagen das prächtige Gespann der Chrysothemis, dem zwei Molosserhunde vorausliefen. Eine Gruppe junger Männer und alter Senatoren stand dabei, die ihrer Stellung wegen in Rom zurückbleiben mußten. Chrysothemis lenkte die vier Ponys selber, während sie lächelte und leichte Hiebe mit der goldenen Peitsche austeilte. Beim Anblick des Vinicius hielt sie die Pferde an, hieß ihn den Wagen besteigen und fuhr mit ihm nach Hause zu einem Gelage, das die ganze Nacht hindurch währte. Vinicius trank so viel, daß man ihn bewußtlos heimtrug. Nur daran konnte er sich nachher erinnern, daß Chrysothemis ihn durch Erwähnung Lygias beleidigte, worauf er im Rausche einen Becher Falernerwein über sie goß. Die Erinnerung vermehrte seinen Zorn. Am anderen Tage besuchte ihn Chrysothemis, die offenbar des Vorfalls nicht mehr gedachte, worauf beide wieder auf die Appische Straße hinausfuhren. Sie speiste darauf bei ihm und ließ ihn wissen, daß nicht bloß Petronius, sondern auch dessen Lautenspieler ihr verleidet und ihr Herz nun wieder frei sei. Sie trieben es eine Woche lang miteinander; doch das Verhältnis war nicht von Dauer. Lygias Name wurde nach jener Falernerszene nie mehr erwähnt, allein es gelang Vinicius nicht, sie sich aus dem Gedächtnis zu schlagen. Es war ihm, als schauten ihre Augen beständig auf ihn, und er hatte dabei ein Gefühl, das ihn beinahe mit Furcht erfüllte. Er litt und konnte der Vorstellung, Lygia zu betrüben, und dem Kummer darüber nicht entfliehen. Nach der ersten Eifersuchtsszene, die Chrysothemis ihm machte, weil er zwei syrische Mädchen gekauft hatte, entließ er sie plötzlich. Er enthielt sich freilich nicht sofort der Ausschweifungen, sondern ergab sich ihnen gleichsam Lygia zum Trotze. Endlich mußte er sich sagen, daß der Gedanke an sie dennoch keinen Augenblick von ihm wiche, daß sie die einzige Ursache für alles Böse war, das er tat, aber auch für alles Gute; daß wirklich nichts in der Welt ihn beschäftigte als sie allein. Abscheu und Überdruß erfaßten ihn. Der Genuß ekelte ihn an und ließ Gewissensbisse zurück. Er kam sich elend vor, was ihn mit grenzenlosem Staunen erfüllte, da er frü her alles, was ihm gefiel, auch für gut gehalten hatte. Er versank schließlich in einem so völligen Lebensüberdruß, daß ihn nicht einmal das Gerücht von des Cäsars Ankunft aufzumuntern vermochte. Nichts berührte ihn, so daß er Petronius gar nicht besuchte, bis dieser seine Sänfte mit einer Einladung schickte.
Der Oheim grüßte ihn freundlich; Vinicius beantwortete seine Fragen nur verdrossen. Schließlich kamen die lange zurückgehaltenen Empfindungen zum Ausbruch und machten sich in einem Strome von Worten Luft. Nochmals schilderte er die Geschichte seiner Jagd nach Lygia, sein Leben unter den Christen, was er dort gesehen und gehört, seine Empfindungen und Gedanken, und klagte zum Schluß, in ein Chaos geraten zu sein, jede Urteilskraft, jede Fassung verloren zu haben. Nichts freue ihn mehr, nichts fessele seinen Geist, er wisse nicht, was er anfangen solle. Er sei ebenso bereit, Christus zu verehren wie zu verfolgen; er erkenne die Erhabenheit seiner Lehre und fühle wieder eine unwiderstehliche Abneigung dagegen. Er wisse, daß Lygia, wenn sie sein wäre, ihm doch nicht ganz angehören könnte, da er sich in ihre Liebe mit Christus teilen müßte. Er lebe, als ob er es gar nicht selbst sei; ohne Hoffnung auf ein Morgen, ohne Glauben an ein Glück. Rings um ihn Finsternis, wobei er umsonst nach einem Ausweg suche.
Petronius betrachtete inzwischen sein verändertes Antlitz, seine Hände, die eigentümlich gestikulierten, als suchten sie in der Tat einen Ausgang aus der Finsternis. Nachdenklich schwieg er. Plötzlich sprang er auf, näherte sich seinem Neffen und faßte mit seinen Fingern ein Büschel von dessen Haaren.
„Weißt du“, fragte er, „daß du bereits graues Haar an den Schläfen hast?“
„Wohl möglich“, antwortete Vinicius; „ich wunderte mich nicht, wären sie schneeweiß geworden.“
Wieder trat Schweigen ein. Petronius war ein scharfblickender Mann und hatte oft schon
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