Quo Vadis
Lygia?“
„Lygia.“
„Weißt du, wo sie ist?“
„Nein.“
„Du willst also von neuem anfangen, nach ihr an alten Begräbnisstätten und jenseits des Tibers zu suchen?“
„Ich weiß es nicht; aber ich muß sie sehen.“
„Nun gut. Obwohl Lygia eine Christin ist, mag sie mehr Scharfsinn zeigen als du; sie wird es gewiß, wenn sie nicht deinen Untergang herbeiführen will.“
Vinicius zuckte mit den Achseln.
„Sie rettete mich aus der Hand des Ursus.“
„So eile. Der Feuerbart wird seine Abreise nicht verschieben, und Todesurteile können auch von Antium kommen.“
Aber Vinicius hörte nicht. Nur ein Gedanke beschäftigte ihn, das Zusammentreffen mit Lygia; über die möglichen Wege dachte er nach.
Da trat ein Zwischenfall ein, der jede Schwierigkeit heben konnte. Chilon kam unerwartet in sein Haus.
Er trat ein, elend, den Hunger im Gesicht und in Lumpen gehüllt. Die Diener, eingedenk des früheren Befehls, ihn zu jeder Stunde des Tages und der Nacht vorzulassen, wagten nicht, ihn zurückzuweisen; und so ging er geradewegs zum Atrium und sprach zu Vinicius:
„Mögen die Götter dir Unsterblichkeit verleihen und mit dir die Herrschaft über die Welt teilen!“
Vinicius hätte ihn im ersten Augenblick am liebsten vor die Tür setzen lassen; aber es fiel ihm ein, daß der Grieche vielleicht etwas von Lygia wissen könnte, und die Neugier überwand seinen Ekel.
„Bist du es?“ fragte er. „Was ist dir begegnet?“
„Übles, o Sohn des Jupiter“, antwortete Chilon. „Echte Tugend ist eine Ware, die niemand mehr verlangt; und ein wahrer Weiser muß froh sein, wenn er in fünf Tagen soviel gewinnt, um sich beim Metzger einen Hammelkopf zu erstehen, ihn in einer Dachkammer abzunagen und mit Tränen zu waschen. Was du mir gabst, bezahlte ich Atractus für Bücher, und danach wurde ich beraubt und zugrunde gerichtet. Der Sklave, der meine Weisheit niederschreiben sollte, floh und nahm den Rest dessen mit, was deine Großmut mir geschenkt hatte. Ich bin im Elend, und zu wem kann ich gehen, wenn nicht zu dir, o Serapis, den ich liebe und vergöttere, für den ich mein Leben gewagt habe?“
„Warum bist du gekommen, und was bringst du?“
„Ich komme um Hilfe, o Baal, und ich bringe mein Elend, meine Tränen, meine Liebe und endlich eine Nachricht, die ich deinetwegen eingezogen habe. Vielleicht erinnerst du dich, Herr, daß ich dir sagte, wie ich einmal einer Sklavin des göttlichen Petronius einen Faden aus dem Gürtel der paphischen Venus gegeben habe. Ich erfuhr, daß er ihr geholfen hat, und du, o Abkömmling der Sonne, der du weißt, was sich in jenem Haus ereignet hat, weißt auch, was nun Eunike dort ist. Ich habe noch einen solchen Faden und ihn für dich bewahrt, Herr.“
Hier hielt er inne, denn er bemerkte den Ärger, der sich in den zusammengezogenen Brauen des Vinicius kundgab, und sagte ruhig, als wollte er einem Ausbruch zuvorkommen:
„Ich weiß, wo die göttliche Lygia wohnt, und werde dir Straße und Haus zeigen.“
Vinicius verbarg die Bewegung, die diese Nachricht in ihm hervorrief, und sagte:
„Wo ist sie?“
„Bei Linus, dem ältesten Priester der Christen. Auch Ursus ist dort und geht nach wie vor zu dem Müller, einem Namensvetter deines Hausmeisters Demas. Ursus arbeitet des Nachts; wenn du daher zu dieser Zeit das Haus des Linus umschließen läßt, wirst du Ursus nicht zu fürchten haben. Linus ist alt, und außer ihm sind nur zwei bejahrte Frauen im Hause.“
„Woher weißt du dies alles?“
„Du erinnerst dich, Herr, daß die Christen mich bereits in Händen hatten und trotzdem verschonten. Staune darum nicht, Herr, wenn Dankbarkeit mein Herz erfüllt. Ich bin ein Kind einer früheren besseren Zeit, drum dachte ich: ‚Darf ich meine Freunde und Wohltäter verlassen? Wäre ich nicht hartherzig, wenn ich mich nicht nach ihnen erkundigte, nicht zu erfahren wünschte, was ihnen begegnet, wie es um ihre Gesundheit steht und wo sie wohnen?‘ Bei der pessinianischen Kybele! Ich wäre eines solchen Betragens nicht fähig. Zuerst fürchtete ich, sie könnten meine Wünsche falsch auslegen; aber die Liebe zu ihnen erwies sich mächtiger als die Furcht, und die Bereitwilligkeit, mit der sie Ungerechtigkeiten verzeihen, verlieh mir besonderen Mut. Aber vor allem dachte ich an dich, Herr. Unser letzter Versuch endete mit einer Niederlage; aber kann ein solcher Sohn des Glücks wie du sich damit abfinden? Darum bereitete ich dir einen Sieg vor. Das Haus steht
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