Quo Vadis
ins Atrium gestürzt und auf den Bescheid, Petronius befinde sich in der Bibliothek, mit gleichem Ungestüm dorthin gerannt war. Da er Petronius schreibend gefunden, hatte er das Rohr dessen Hand entrissen, es zerbrochen und zertreten, die Hand auf Petronius’ Schulter gelegt und mit heiserer Stimme gefragt:
„Was hast du mit ihr getan? Wo ist sie?“
Etwas Unerwartetes war da geschehen. Dieser schmächtige, verweichlichte Petronius packte zuerst die Hand des jungen Athleten, die auf seiner Schulter lag, dann dessen andere, hielt beide mit einer Hand wie in einem Schraubstock fest und sagte:
„Ich bin nur am Morgen kraftlos; am Abend habe ich wieder die frühere Kraft. Versuche dich frei zu machen! Ein Weber muß dich Gymnastik und ein Grobschmied Manieren gelehrt haben.“
In seinem Gesicht war nicht einmal Zorn zu lesen, doch in seinen Augen lag ein Ausdruck kühner Entschlossenheit. Nach einer Weile ließ er Marcus’ Hände los. Beschämt und wütend zugleich stand dieser vor ihm.
„Deine Hand ist von Stahl“, sagte er, „doch wenn du mich betrogen hast, so schwöre ich bei allen Göttern der Unterwelt, daß ich dir einen Dolch in den Hals stoßen werde, und wenn du in den Zimmern des Cäsars dich befändest.“
„Laß uns ruhig miteinander reden“, sagte Petronius. „Stahl ist härter als Eisen, wie du siehst; obschon einer deiner Arme hinreicht, zwei der meinigen zu machen, so brauche ich dich dennoch nicht zu fürchten. Dagegen bedaure ich deine Roheit und möchte erstaunen über deine Undankbarkeit, wenn der Undank von Menschen mich überhaupt noch in Staunen versetzen könnte.“
„Wo ist Lygia?“
„Im Hause des Cäsars.“
„Petronius!“
„Bleib ruhig und setze dich. – Ich bat Nero um zwei Dinge, die er mir zusagte: Lygia von Aulus wegzunehmen und sie dir zu übergeben. Trägst du nicht einen Dolch unter den Falten der Toga verborgen? Vielleicht willst du mich erstechen. Doch ich rate dir, ein paar Tage zu warten, denn man würde dich ins Gefängnis werfen, und Lygia müßte inzwischen in deinem Hause sich langweilen.“
Marcus blickte eine Zeitlang verblüfft seinen Oheim an, dann sprach er:
„Verzeihe! Ich liebe das Mädchen; Liebe hat mir den Sinn verwirrt.“
„Staune mich an, Marcus. Vorgestern sprach ich zum Cäsar; ‚Der Sohn meiner Schwester, Marcus Vinicius, ist derart in ein schmächtiges Mädchen, das in der Familie des Aulus erzogen wird, verliebt, daß sein Hals vor lauter Seufzern in ein Dampfbad umgewandelt ist. Weder du, o Cäsar, noch ich – die wir beide wissen, was wahre Schönheit ist – würden auch nur tausend Sesterze für sie geben; doch dieser Bursche war von jeher so einfältig wie ein Holzklotz und hat all seinen Witz verloren.‘“
„Petronius!“
„Wenn du nicht begreifst, daß ich dies zu Lygias Sicherheit sagte, so muß ich annehmen, damit die Wahrheit gesprochen zu haben. Ich überzeugte den Feuerbart, ein Ästhet wie er dürfe ein solches Mädchen nicht schön finden; und da Nero bis jetzt noch nie gewagt hat, anders als durch meine Augen zu schauen, so wird er sie nicht schön finden, und da er sie nicht schön findet, auch nicht begehren. Es war nötig, uns vor dem Affen zu sichern und ihn ans Seil zu nehmen. Nicht er, sondern Poppäa wird nun die körperlichen Reize Lygias entdecken und wird natürlich bemüht sein, das Mädchen so bald als möglich aus dem Palaste zu entfernen. Ich sagte ferner zu Nero: ‚Nimm Lygia und gib sie meinem Neffen. Du hast das Recht dazu, denn sie ist eine Geisel, und dadurch, daß du sie wegnimmst, kannst du Aulus ärgern.‘ Er willigte ein, denn er hatte nicht den geringsten Grund, es nicht zu tun, zumal ich ihm Gelegenheit gab, anständige Leute zu quälen. Man wird dich also amtlich zum Vormund der Geisel ernennen und diesen lygischen Schatz dir anvertrauen. Du, als Freund der tapferen Lygier und als treuer Diener des Cäsars, wirst nichts von diesem Schatze vergeuden, sondern ihn zu vermehren suchen. Um den Schein zu wahren, behält er sie einige Tage im Palast und sendet sie dann in dein Haus, du Glückspilz!“
„Sprichst du die Wahrheit? Droht ihr nichts im Palast Neros?“
„Falls sie für immer dort zu bleiben hätte, so würde Poppäa sich ihretwegen mit der Giftmischerin Locusta besprechen; so aber ist keine Gefahr. Zehntausend Menschen leben im Palaste. Nero bekommt vielleicht das Mädchen gar nicht zu Gesicht, um so weniger, weil er die Angelegenheit ganz mir überlassen hat. Soeben
Weitere Kostenlose Bücher