Quo Vadis
bezogen.
Ursus und Vinicius waren den Soldaten voraus und kamen unbehelligt zu Miriams Haus, wo sich Petrus inmitten einiger Gläubigen befand. Auch Timotheus und Linus waren darunter.
Auf die Nachricht von der drohenden Gefahr hin führte Nazarius alle auf einem verborgenen Pfade zur Gartentür und von da aus in verlassene Steinbrüche in einiger Entfernung vom Tore des Janikulus. Ursus trug Linus, dessen Beine durch die Marter gebrochen und noch nicht geheilt waren. Im Steinbruch angelangt, fühlten sie sich sicher. Beim Lichte einer von Nazarius entzündeten Fackel berieten sie, wie das ihnen so teure Leben des Apostels gerettet werden könne.
„Herr“, sagte Vinicius, „laß dich bei Tagesanbruch von Nazarius zu den Albanerbergen führen; dort werde ich dich treffen. Wir nehmen dich sodann nach Antium, wo für uns ein Schiff nach Neapel und Sizilien bereit ist. Gesegnet sei der Tag und die Stunde, in der du mein Haus betreten und es segnen wirst!“
Die einen stimmten diesem Vorschlag zu, drangen in den Apostel und sagten:
„Verbirg dich, geheiligtes Haupt; bleibe nicht in Rom! Pflanze die Wahrheit fort, damit sie nicht zugrunde geht mit uns und dir. Höre auf uns, wir bitten dich, unseren Vater!“
„Tu es in Christi Namen“, riefen andere und hängten sich dabei an ihn.
„Meine Kinder“, antwortete Petrus, „wer kennt den Zeitpunkt, den der Herr als Grenze meines Lebens gesetzt hat?“
Er zögerte, ihre Bitte zu erfüllen; überhaupt hatte sich seit einiger Zeit eine gewisse Unsicherheit, sogar Furcht in seine Seele geschlichen.
„Die Herde“, dachte er sich, „ist zerstreut, das Werk zugrunde gerichtet, die Kirche, die vor dem Brande einem blühenden Baume ähnlich war, in den Staub getreten durch die Macht des ‚Tieres‘. Nichts ist übrig als Tränen, nichts als die Erinnerung an Marter und Tod. Die Saat hat reiche Früchte getragen, Satan aber hat sie in die Erde gestampft. Die Legionen der Engel sind meinen Kindern nicht zu Hilfe gekommen. Nero, schrecklicher und mächtiger denn je, verbreitet seinen Ruhm über die Erde, über Meere und Länder.“
Dann hob der greise Fischer die Hände zum Himmel und fragte:
„Herr, was soll ich tun? Wie soll ich handeln? Und wie soll ich, ein schwacher Greis, diese unbezwingbare Macht des Bösen bekämpfen und den Sieg erringen?“
Und er rief aus der Tiefe seines unermeßlichen Schmerzes und wiederholte es im Geiste:
„Jene Schafe, die du mir zu weiden befohlen hast, sind nicht mehr, deine Kirche ist nicht mehr. Einsamkeit und Trauer sind in deine Stadt eingezogen. Was willst du, daß ich jetzt tue? Soll ich bleiben oder den Rest deiner Herde fortführen, damit er deinen Namen jenseits des Meeres im verborgenen verherrlicht?“
Er zögerte. Wohl glaubte er, daß die Wahrheit nicht zugrunde gehen, sondern siegen werde; aber zuweilen dachte er, diese Stunde würde erst dann anbrechen, wenn der Herr am Tage des Gerichtes wiederkommen werde in einer Macht und Herrlichkeit, vor der Neros Größe ein Nichts sein würde.
Manchmal hatte er den Gedanken, daß, wenn er Rom verließe, die Gläubigen ihm folgen würden. Er führte sie dann im Geiste hinweg nach den schattigen Hainen Galiläas, zum ruhigen Spiegel des Sees von Tiberias, zu Hirten, so friedlich wie Tauben und Schafe, die dort ihre Herden weideten zwischen Thymian und Pfefferwurz. Ein immer sehnlicherer Wunsch nach Friede und Ruhe, eine sich steigernde Sehnsucht nach diesem See und Galiläa bemächtigten sich dann der Seele des Fischers, und Tränen traten dabei in des Greises Augen.
Jetzt, da er sich entscheiden sollte, überkamen ihn plötzlich Unruhe und Furcht. Durfte er diese Stadt verlassen, deren Boden das Blut so zahlreicher Märtyrer getrunken, in der so viele durch ihren Tod für die Wahrheit Zeugnis abgelegt hatten? Sollte er allein nicht standhalten? Und was würde er dem Herrn erwidern auf die Worte: „Diese sind für den Glauben gestorben, du aber flohst?“
„Tage und Nächte“, sprach er zu sich, „verbrachte ich in Angst und innerem Leiden. Andere, die von den Löwen zerrissen, an die Kreuze geschlagen, in den Gärten des Cäsars verbrannt wurden, entschliefen nach kurzer Qual im Herrn; ich jedoch finde keine Ruhe und fühle größere Martern als die von den Henkern für ihre Opfer ersonnenen. Oft legte sich schon der Schimmer der Morgendämmerung auf die Dächer der Häuser, während ich in der Tiefe meines trauernden Herzens noch seufzte: ‚Herr, warum riefst du
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