Quo Vadis
nicht, die Ordnung aufrechtzuerhalten. An manchen Plätzen begegneten sie dem offenen Widerstand bewaffneter Haufen, an anderen zeigte eine waffenlose Menge auf die brennende Stadt und rief: „Tötet uns noch im Angesichte dieses Feuers!“ Sie beschimpften den Cäsar, die Augustianer, die Prätorianer; die Erregung wuchs stetig, so daß Tigellinus beim Anblick der Tausende von Lagerfeuern, die nachts rings um die Stadt leuchteten, befürchtete, es seien die Wachtfeuer feindlicher Lager.
Auf seine Anordnung hin wurde soviel Mehl und Brot wie nur möglich nicht nur von Ostia, sondern von allen benachbarten Städten und Dörfern hergebracht. Als die erste Sendung des Nachts nach dem Emporium kam, zerbrach das Volk das zum Aventin führende Haupttor, bemächtigte sich in einem Augenblick aller Vorräte und richtete eine schreckliche Verwüstung an. Im Scheine der Feuersbrunst kämpfte es um die Brotlaibe, vieles wurde dabei zertreten. Aus den Säcken gerissenes Mehl deckte wie Schnee den ganzen Weg vom Kornspeicher bis zu den Triumphbogen des Drusus und des Germanicus. Der Aufstand währte so lange, bis die Soldaten das Gebäude einnahmen und die Menge mit Pfeilen und Wurfgeschossen auseinandertrieben.
Nie seit dem Einfall der Gallier unter Brennus hatte Rom solches Unglück erlebt. Das verzweifelte Volk verglich die beiden Feuersbrünste. Zur Zeit des Brennus war wenigstens das Kapitol stehengeblieben; jetzt umzüngelte die furchtbare Wut des Feuers auch dieses. Der Marmor allerdings brannte nicht; aber als in einer Nacht der Wind die Flammen einmal zur Seite trieb, erschienen ganze Säulenreihen im erhabenen Heiligtum des Jupiter rot wie glühende Kohlen. Dazu besaß Rom damals eine disziplinierte, rechtliebende Bevölkerung, voll Anhänglichkeit an die Stadt und die Altäre, während jetzt Massen aus allen Weltgegenden nomadenähnlich die Mauern der brennenden Stadt umstreiften, meistens Sklaven und Freigelassene, die sich gereizt, zügellos und bereit zeigten, unter dem Druck der Verhältnisse gegen die Obrigkeit und die Stadt Gewalt zu brauchen.
Nur die furchtbare Ausdehnung des Feuerherdes, die auch ihr Herz beklemmte, hielt diese Scharen noch etwas zurück. Nach seinem Erlöschen mußte man mit Hunger und mit Seuchen rechnen, und damit das Unglück voll wurde, war der heißeste Monat des Jahres, der Juli, bereits erschienen. Die durch Feuer und Sonne erhitzte Luft konnte man fast nicht einatmen. Die Nacht brachte keine Erleichterung, sie bot vielmehr ein Bild der Hölle. Das Licht des Tages zeigte dem Auge ein furchtbares, Unglück verheißendes Schauspiel. In der Mitte war die hochgelegene Riesenstadt in einen tosenden Vulkan verwandelt; diesen umgab ein durch keine Grenze abgeschlossenes, bis zu den Albanerbergen reichendes Lager von Schuppen, Zelten, Hütten, Fuhrwerken, Warenballen, Bündeln, Gestellen, Feuern, alles rauch- und staubbedeckt, durch die Sonnenstrahlen beleuchtet, durch die Glut zuweilen gerötet – dazwischen allenthalben Geschrei, Seufzen, Drohungen, Ausbrüche des Hasses und Schreckens und ungeheure Scharen von Männern, Weibern und Kindern. Zwischen den Quiriten waren Griechen, waren rauhe, blauäugige Männer aus dem Norden, Afrikaner und Asiaten; unter den Patriziern fanden sich Sklaven, Freigelassene, Gladiatoren, Kaufleute, Handwerker, Diener und Soldaten – ein wahres Menschenmeer, das diese Feuerinsel umflutete.
Die verschiedensten Berichte bewegten dieses Meer wie der Wind die Flut. Sie waren günstig und ungünstig. Man sprach von Riesenzufuhren von Weizen und Kleidern, die nach dem Emporium gebracht und gratis verteilt werden sollten. Manche Provinzen Asiens und Afrikas, hieß es, würden auf des Cäsars Befehl ihrer Schätze beraubt, der das so Gewonnene an die Bewohner Roms verteilen würde, damit jeder sich wieder eine Wohnung bauen könne. Aber man munkelte auch, das Wasser in den Aquädukten sei vergiftet worden, Nero beabsichtige, die Stadt zu zerstören, die Einwohner bis auf den letzten zu vernichten, sich dann nach Griechenland oder Ägypten zu begeben und die Welt von einem neuen Orte aus zu beherrschen. Jeder Bericht verbreitete sich mit Blitzesschnelle, jeder fand Glauben bei den Massen, erzeugte Ausbrüche der Hoffnung, des Zorns, des Schreckens oder der Wut. Zuletzt bemächtigte sich eine Art Fieber dieser im Freien kampierenden Menge. Der Glaube der Christen, daß die Welt durch Feuer ende, kam auch dazu, wurde unter den Anhängern der Götter ausgestreut und
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