Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Quo Vadis

Quo Vadis

Titel: Quo Vadis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk Sienkiewicz
Vom Netzwerk:
schlafet!“ Alle übertönte Crispus: „Wachet, wachet!“
    Bisweilen jedoch trat Stille ein, als ob jeder den Atem anhielte und auf das Schreckliche wartete, das da kommen sollte. Dann wurde wieder der dumpfe Krach ferner, in Trümmer fallender Häuser hörbar, und neues Ächzen, neue Rufe ertönten; „Entsagt irdischen Gütern, denn in kurzem wird keine Erde mehr unter euern Füßen sein! Entsagt irdischer Liebe, denn der Herr wird verdammen, wer Weib und Kind mehr liebt als ihn. Weh dem, der das Geschöpf mehr liebt als den Schöpfer! Wehe dem Reichen! Wehe dem Prasser! Wehe dem Unkeuschen! Wehe dem Gatten, dem Weibe, dem Kinde!“ Plötzlich wurde die Höhle von einem Krachen erschüttert, das lauter war als alles vorherige. Alle fielen zur Erde und hielten die Arme in Kreuzesform vor sich, um sich durch dieses Zeichen vor bösen Geistern zu schützen. Bange Stille herrschte, zuweilen unterbrochen durch die ängstlich geflüsterten Rufe „Jesus! Jesus! Jesus!“ und das Wimmern der Kinder.
    In diesem Augenblick ertönten über der hingestreckten Gemeinde die Worte:
    „Friede sei mit euch!“
    Sie kamen von Petrus, dem Apostel, der kurz zuvor die Höhle betreten hatte. Beim Klang seiner Stimme wich jede Angst aus den Herzen der Beter, wie die Furcht aus einer Herde weicht, wenn der Hirte erscheint. Die Gestalten erhoben sich von der Erde; die in der Nähe Stehenden sammelten sich um seine Knie, als suchten sie bei ihm Schutz. Er streckte die Hände über sie aus und sagte:
    „Warum zaget ihr in eurem Herzen? Wer von euch weiß, was geschehen wird, ehe die Stunde kommt? Der Herr hat Babylon mit Feuer gezüchtigt, doch seine Gnade ruht auf jenen, die er in der Taufe gereinigt hat. Ihr, deren Sünden im Blute des Lammes getilgt sind, werdet mit seinem Namen auf den Lippen sterben. Friede sei mit euch!“
    Nach Crispus’ erbarmungslosen Worten wirkte diese Rede des Apostels auf alle wie Balsam. Statt der Furcht vor Gott ergriff Liebe zu ihm ihre Seelen. Sie fanden den Christus, den sie durch die Erzählungen des Apostels liebengelernt hatten, wieder; also nicht einen unbarmherzigen Richter, sondern einen milden, geduldigen Hirten, dessen Erbarmen menschliche Bosheit tausendfach übersteigt Trost drang in aller Herzen, erleichtert blickten sie dankbar zu Petrus auf. Von allen Seiten hörte man rufen: „Wir sind deine Schafe, weide uns!“ Näher bei ihm Kniende baten: „Verlaß uns nicht in der Stunde der Trübsal!“
    Vinicius faßte den Mantel des Apostels, kniete nieder und sagte:
    „Rette mich, Herr! Ich habe im Rauche des Feuers und im Gedränge des Volkes nach ihr gesucht; nirgends fand ich sie. Allein ich glaube, daß du sie mir wiedergeben kannst.“
    Petrus legte die Hand auf das Haupt des jungen Kriegers und sagte: „Vertraue und komm mit mir!“

XLVI
    Die Stadt brannte weiter. Der Circus Maximus lag in Trümmern. In den Stadtteilen, wo das Feuer ausgebrochen war, stürzten ganze Straßen und Gassen der Reihe nach ein. Bei jedem Falle erhob sich sofort für kurze Zeit eine Feuersäule gen Himmel. Der Wind hatte sich gedreht, wehte jetzt kräftig von der Seeseite her und trug Flammenbüschel, Feuerbrände und glühende Asche zum Mons Caelius, zum Esquilin und Viminal. Noch sorgte die Obrigkeit für Hilfe. Auf Befehl des Tigellinus, der vor drei Tagen von Antium herbeigeeilt war, wurden Häuser auf dem Esquilin niedergerissen; das Feuer erreichte somit leere Stellen und erlosch dort. Das geschah aber nur, um einen Rest der Stadt zu erhalten; zu retten, was brannte, fiel niemand ein. Es war auch nötig, sich vor weiteren Folgen der Katastrophe zu schützen. Unberechenbarer Reichtum war in Rom zugrunde gegangen, das Eigentum seiner Bürger verschwunden; sehr viel Volk irrte außerhalb der Mauern in äußerster Not umher. Am zweiten Tage hatte der Hunger die Menge zu quälen begonnen, denn die reichen Mundvorräte der Stadt waren mit verbrannt. In der allgemeinen Unordnung und bei dem Fehlen jeder Befehlsgewalt hatte niemand daran gedacht, für neue Zufuhr zu sorgen. Erst nach Tigellinus’ Ankunft ergingen dafür Befehle nach Ostia; die Haltung des Volkes war inzwischen drohend geworden.
    Das Haus an der Aqua Appia, das Tigellinus gegenwärtig bewohnte, war von einer Menge Frauen umringt, die vom frühen Morgen bis in die späte Nacht hinein riefen: „Brot und Obdach!“ Zwar waren Prätorianer vom großen Lager zwischen der Via Salaria und der Via Nomentana hierher gerufen worden, vermochten jedoch

Weitere Kostenlose Bücher