Quo Vadis
nahm inzwischen zu. Das Volk bewaffnete sich mit Steinen, Zeltpfählen, Wagenteilen, Bohlen und Eisenstücken. Die Führer der Prätorianer kamen und erklärten, daß die von der Masse umdrängten Kohorten die Schlachtlinie nur mit äußerster Schwierigkeit aufrechterhalten könnten und nicht wüßten, was sie tun sollten, da sie keinen Befehl zum Angriff hätten.
„O Götter!“ sagte Nero, „welch eine Nacht! Auf der einen Seite Feuer, auf der anderen ein wütendes Menschenmeer!“
Und er gefiel sich darin, nach Worten zu suchen, die die Gefahr dieser Stunde am glänzendsten darzustellen vermochten; als er aber beunruhigte Blicke und bleiche Mienen um sich sah, erschrak er gleich den übrigen.
„Gebt mir meinen dunklen Mantel mit Kapuze“, sprach er. „Muß es wirklich zur Schlacht kommen?“
„Herr“, sagte Tigellinus mit unsicherer Stimme, „ich tat, was in meinen Kräften stand. Doch die Gefahr ist drohend. Rede, Herr, zum Volke und mach ihm Versprechungen.“
„Soll der Cäsar zum Pöbel sprechen? Ein anderer mag es in meinem Namen tun. Wer will es unternehmen?“
„Ich!“ antwortete Petronius ruhig.
„Geh, mein Freund. Du bist mir am treuesten in jeder Not. Geh und laß es nicht an Versprechungen fehlen!“
Petronius wandte sich mit dem Ausdruck der Sorglosigkeit und des Sarkasmus an das Gefolge:
„Versammelte Senatoren, auch Piso, Nerva und Senecio, folgt mir!“
Dann stieg er langsam den Aquädukt hinunter. Die Gerufenen folgten ihm zwar nicht ohne Zögern, aber mit dem Vertrauen, das seine Ruhe ihnen eingeflößt hatte. Am Fuß der Bogen angelangt, hielt er an, ließ sich ein weißes Pferd vorführen, bestieg es und ritt an der Spitze des Zuges zwischen den gedrängten Reihen der Prätorianer dahin, an die schwarze, heulende Menge heran; er war unbewaffnet und hatte, seiner Gewohnheit gemäß, nur ein leichtes Elfenbeinstöckchen bei sich. Sobald er die Massen erreicht hatte, trieb er sein Pferd in diesen Menschenknäuel hinein. Im Scheine des Feuers sah er sie mit erhobenen Händen, ausgerüstet mit jeder Art Waffen, mit flammenden Augen, schweißbedecktem Gesicht, heulendem, schäumendem Munde. Eine tobende Menschenwoge umgab ihn und seine Begleiter; rings um ihn war ein Meer von Köpfen, alles Bewegung, Geschrei, Wut.
Die Ausbrüche steigerten sich und wurden zum unheimlichen Gebrüll. Stangen, Gabeln, selbst Schwerter schwang man über Petronius; Hände streckten sich aus, seines Pferdes Zügel und ihn selbst zu packen, er aber ritt weiter, kalt, gleichgültig, verächtlich. Manchmal schlug er auf die Unverschämtesten mit seinem Stöckchen, aber nur so, als wolle er sich durch eine gewöhnliche Menge den Weg bahnen. Diese Zuversicht und Ruhe versetzten das wütende Volk in Erstaunen. Man erkannte ihn endlich, und zahlreiche Stimmen fingen an laut zu werden.
„Petronius! Arbiter elegantiarum! Petronius! Petronius!“ hörte man von allen Seiten. Und als dieser Name sich wiederholte, milderten sich die Gesichtszüge der ihn Umringenden, verlor der Aufruhr an Wildheit; denn dieser feine Patrizier war, obwohl er nie nach der Gunst des Volkes gestrebt, dennoch dessen Liebling. Er wurde für einen menschlichen und großmütigen Mann gehalten, und seine Popularität hatte seit dem Falle des Pedanius Secundus noch zugenommen; er hatte damals für Milderung des grausamen, alle Sklaven dieses Präfekten dem Tode überliefernden Urteiles gesprochen. Gerade die Sklaven liebten ihn von da an mit jener unbegrenzten Liebe, die Bedrückte oder Unglückliche gewöhnlich dem erzeigen, der ihnen auch nur ein wenig Wohlwollen erweist. Dazu gesellte sich in diesem Augenblick noch die Neugier, was des Cäsars Abgesandter ihnen zu sagen habe; denn niemand zweifelte daran, daß er im Auftrag Neros kam.
Er nahm seine weiße, mit Scharlach verbrämte Toga ab, erhob sie in die Luft und schwenkte sie über seinem Kopfe zum Zeichen, daß er reden wolle.
„Ruhe! Ruhe!“ rief das Volk auf allen Seiten.
Nach kurzer Zeit war Stille eingetreten. Nun richtete Petronius sich im Sattel auf und sprach mit deutlicher, fester Stimme:
„Bürger, laßt durch die mir nahe Stehenden den Entfernteren meine Worte wiederholen, und betragt euch alle wie Menschen, nicht wie wilde Tiere in der Arena!“
„Wir wollen es, wir wollen es!“
„So höret! Die Stadt wird wieder aufgebaut werden! Die Gärten des Lucullus, des Mäcenas, Cäsars und der Agrippina werden euch offenstehen. Morgen beginnt eine so reichliche
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