Rabenbrüder
Olga, ihr Stiefvater arbeite schließlich bei der städtischen Müllbeseitigung. Von Markus hätte sie allerdings erwartet, daß er sich eine reiche Erbin angele, geizig wie er sei. Wahrscheinlich sei sie aber selber schuld, weil sie übers gute Kochen das Putzen vernachlässigt habe.
Damals mußte Paul schmunzeln, weil er Olgas liederliche Haushaltsführung ebenso wie ihre exzellenten Kochkünste kannte. Genau das Gegenteil von Annette, die zwar kein Spinnennetz im Keller duldete, aber abends bloß zwei Quarkschnitten auf den Tisch brachte. »Was gibt’s denn heute bei euch?« fragte er neugierig.
Markus sei bereits ausgezogen, erfuhr er, aber Olga koche sich trotzdem Tag für Tag etwas Feines. Für heute plante sie Kalbsnieren in Senfsauce mit Muskat-Risotto.
Paul machte große Augen und landete bereits zur Teezeit in Olgas schmuddeliger Küche, in der es köstlich roch, zwei Stunden später auch in ihrem Bett. Annette darf das niemals erfahren, forderte er, als sich ihre Liaison schließlich zu einem festen Bratkartoffelverhältnis auswuchs.
Markus aber auch nicht, bat Olga, sonst nehme er womöglich an, sie seien nun in punkto Ehebruch quitt. Und vielleicht könne er ihr für die Scheidung schon im Vorfeld ein paar freundschaftliche Ratschläge geben?
Es war etwas peinlich für Paul, als Markus ihn vier Wochen später anrief und seinerseits um juristische Unterstützung bat. Ohne plausiblen Grund konnte er seinen Freund nicht einfach abweisen, und so behauptete er etwas lau, er befasse sich ausschließlich mit Strafverteidigung. Mehr als ein paar Tips, damit Olga ihn nicht völlig übers Ohr haue, verlangte Markus jedoch nicht. »Du ahnst nicht, wie raffgierig sie ist!« erklärte er. »Sie will unsere Eigentumswohnung nicht verkaufen, obwohl ich den Löwenanteil bezahlt hatte. Und auch sonst hat sie ein paar völlig abwegige Forderungen gestellt, vermutlich läßt sie sich von einem obskuren Winkeladvokaten beraten.«
Nach der anfänglichen Begeisterung für Olgas Kochkünste stellte Paul nach einigen Monaten fest, daß er mit seinem Gewicht zu kämpfen hatte. Es fiel ihm nämlich kein Argument ein, Annettes Abendbrot zu verweigern. »Immer wenn du so spät kommst, hast du keinen Hunger mehr«, rügte sie. »Die Überstunden scheinen dir auf den Magen zu schlagen. Oder hast du etwa wieder mittags Döner gegessen? Ich war zwar nie dafür, daß man sich spät am Tag den Bauch vollschaufelt, aber ein bißchen ...«
Nach Olgas gebratenen Jakobsmuscheln mit Safrannudeln und Chablis nahm er also zu Hause zwei Schnitten Vollkornbrot mit Weißkäse zu sich und trank dazu eine Tasse Kräutertee.
Das ständige Vergleichen beider Frauen fiel allerdings nicht bloß zu Olgas Gunsten aus. Die Katzenhaare auf Sofa, Sesseln und dunklen Hosen waren nicht nach Pauls Geschmack, der großzügige Umgang mit Knoblauch glich einer Zeitbombe, und dazu kam ihre typische Lehrerinnenart, bei jeder sich bietenden Gelegenheit erhöhte Konzentration einzufordern, ihn zu unterbrechen und lautstark das Wort an sich zu reißen.
»Jetzt sei doch endlich einmal still! Nun paß einmal gut auf! Aber hör doch erst einmal richtig zu!«
Das Wörtchen einmal schien ihm plötzlich eine neue Bedeutung zu erhalten, denn im Zusammenhang mit Olgas Befehlen implizierte es seinen permanenten Mangel an Aufmerksamkeit. Seine Ehefrau wollte ihn mit psychologischen Tricks lenken, seine Geliebte tat es mit Kommandostimme.
Olgas angebliche Raffgier, auf die ihn Markus hingewiesen hatte, schien ebenfalls kein Hirngespinst eines Geizkragens zu sein. Olga stammte aus einem einfachen Elternhaus; sie haßte die lang zurückliegende Mittellosigkeit. Bei ihr wurde nicht gespart, sondern geaast. So kam es, daß sie eigentlich alles ausgab, was sie verdiente, und immer wieder von Existenzängsten gebeutelt wurde.
Eine großzügige Frau einerseits, die weder Kalorien noch Küsse zählt, dachte Paul, doch andererseits durchaus auf ihren Vorteil bedacht. Aber wurden Frauen nicht erst durch Widersprüche interessant? Obwohl Olga sicher eine gute Lehrerin war, machte sie im persönlichen Bereich eher als Chaotin Furore. Unter ihrer professionellen Besserwisserei litt Paul jedoch besonders, denn eigentlich belehrte er selbst ganz gern und mußte nun hinnehmen, daß es mit dieser Rolle vorbei war.
Erst nach und nach stellte Paul einige Gemeinsamkeiten zwischen Annette und Olga fest. Beide Frauen waren auf ihr Äußeres bedacht, beide legten Wert auf bürgerliche
Weitere Kostenlose Bücher