Rabenbrüder
Papierserviette zu wickeln und in die Jackentasche zu stecken, bevor er aufstand und gehen wollte. Olga hinderte ihn daran und gestand, daß es mit Markus immer wieder Krach wegen der Katze im Bett gegeben hatte. Entweder Gattopardo oder ich, habe er verlangt. Dabei zog sie Paul aufs Sofa und die Entenkeule aus seiner Tasche, ließ ihn hier und dort herumknabbern und schließlich seinen Groll wider Willen vergessen. Zu Hause verweigerte Paul zum ersten Mal Annettes Firmenprodukte und begab sich sofort ins Arbeitszimmer. Er hatte Angst, daß man den Braten roch.
Am Anfang ihrer Affäre wollte Olga drei seiner geheimsten Wünsche wissen. Paul haßte solche Fragen, die immer bloß von Frauen gestellt wurden. Was ist dein Leibgericht, liebst du mich, magst du eher den Herbst oder den Frühling, welchen Mädchennamen findest du am schönsten, hörst du lieber Mozart oder die Beatles.
Außerdem ahnte er, daß Olga etwas über seine sexuellen Phantasien herausfinden wollte. Er stellte sich dumm und gab den Schwarzen Peter erst einmal zurück.
Olga war klug genug, sofort ins Unverfängliche überzuleiten und bei den eigenen Wünschen keine peinlichen Forderungen an ihren Liebhaber zu stellen. »Ich bin gerne Lehrerin«, sagte sie, »ich mag meine Schüler, vielleicht sogar allzu sehr. Ja, ich weiß, was du denkst - mir fehlen eigene Kinder. Aber ich verabscheue es, jeden Morgen um acht Uhr vor einer Klasse stehen zu müssen. Wenn es nach meinem natürlichen Rhythmus ginge, dann würde ich bis zehn schlafen, ein warmes Bad nehmen, um elf bei einer Tasse Kaffee die Zeitung lesen und schließlich ganz gemütlich um halb eins mit dem Unterricht beginnen. Aber um diese Zeit gehen die Kids ja schon wieder heim.«
»Läßt sich doch machen«, sagte Paul, »es gibt ja genug Abendschulen.«
Aber Olga schüttelte den Kopf und zählte Gründe auf, warum es aussichtslos oder unrentabel sei, abgesehen davon, daß sie abends essen und lieben und nicht arbeiten wolle. Eine Mittagsschule sei ihr Traum. Im übrigen habe sie sofort gemerkt, daß er seine eigene Antwort hinauszögere.
»Okay«, sagte Paul, »wenn du es unbedingt wissen mußt - mehr Freiheit! Genau wie du hasse ich Zwänge und möchte nach eigenen Bedürfnissen leben. Ich wünsche mir genug Geld, um den Job für ein paar Jahre an den Nagel zu hängen und ohne finanzielle Sorgen in der Welt herumzureisen, vielleicht auf einem Boot. Auf Befehl meines Vaters habe ich gleich nach dem Zivildienst mit dem Studium angefangen, die meisten meiner Mitschüler haben sich eine Auszeit gegönnt.«
Olga nickte begeistert. »Und was noch?« fragte sie.
Paul runzelte angestrengt die Brauen. Im Grunde wollten doch alle Menschen das gleiche - Sex, Geld, Liebe, Anerkennung, Reisen, Genuß und so weiter.
»Und das wahre Glück, ewige Gesundheit und Frieden auf Erden«, ergänzte sie. »Ich erwarte eigentlich etwas originellere Wünsche. Stell dir vor, ich wäre eine gute Fee!«
Paul schwieg. Eigentlich spielte Olga bei seinen geheimen Wünschen nicht gerade die Hauptrolle.
Auch sie war eine Weile still. »Weißt du, was ich gestern nacht geträumt habe?« begann sie wieder. »Und zwar meine ich einen richtigen Traum!«
Paul zuckte mit den Schultern, denn es interessierte ihn nicht sonderlich.
Olga fuhr fort. »Seltsamerweise war ich Schneiderin. Ja, da magst du grinsen, aber wie alle Träume hat auch dieser einen realen Hintergrund. Meine Eltern wollten mir nämlich jahrelang einreden, Nähen sei meine große Begabung. Also, im Traum besaß ich ein Modeatelier und entwarf Uniformen für Soldatinnen.« Sie sah Paul auffordernd an. »Was fällt dir dazu ein?«
Er kam sich vor wie ein Schüler, als er artig aufsagte: »Ein Tagesrest, den du da verarbeitet hast. Wir hatten in den Abendnachrichten Soldatinnen gesehen und über das Pro und Contra diskutiert.«
Mit dieser Antwort war Olga sehr zufrieden und lobte seinen interessanten Ansatz. Um seine Teilnahmslosigkeit zu mindern, behauptete sie, der Traum würde nun fast unanständig. »Die Soldatinnen trugen mir ihre Vorstellungen von praktischer und zugleich attraktiver Kleidung vor und beklagten sich darüber, daß sie bei Einsätzen im Freien nicht wie ihre männlichen Kollegen im Stehen pinkeln konnten.«
Paul mußte nun doch ein wenig lachen.
Olga strahlte. »Natürlich sah ich das ein. Der Penisneid entsteht bei Frauen ja im wesentlichen durch dieses Manko. Ich erfand eine Hose, die durch einen riesigen Reißverschluß vom
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