Rabenbrüder
Bildungsideale und einen gehobenen Lebensstandard. Beide wollten ihren Mann an die Kandare nehmen, und eine wie die andere war bei diesem Dressurakt gescheitert.
Manchmal sehnte sich Paul nach einem Einsiedlerleben. Zwar wußte er ganz gut, daß seine Träume ein Klischee waren: das Meer, Wind, Sand und Sterne. Eine Bootsreise rund ums Mittelmeer, ganz allein oder mit einem schweigsamen Freund, der segeln konnte. Bücher nach seinem Geschmack, nicht von Annette oder Olga empfohlen. Vor den neugierigen Blicken seiner Ehefrau verbarg er die Broschüre Der Weg zum Segelschein im Handschuhfach des Autos und die Krimis in der Kanzlei.
Einerseits gab es diese Sehnsucht nach einem männlichen Leben in freier Natur, andererseits die tägliche Notwendigkeit, in Schlips und Anzug auf Klienten zu warten. Paul vergaß bei seinen Träumereien, daß er im Grunde jegliche körperliche Tätigkeit haßte und sogar für den kleinen Garten einen Frührentner angestellt hatte, der alle vier Wochen wie die Axt im Wald dort hauste. Gelegentlich, wenn er abends mit Annette zusammensaß und eigentlich lesen sollte, blätterte er in seinen geliebten Katalogen, in denen es phantastische Geräte zur Arbeitserleichterung gab.
»Sollen wir den Power-Quarz-Akku-Halogenscheinwerfer bestellen?« fragte er beispielsweise, und Annette nickte ergeben und hörte nicht zu, wenn er die Vorzüge der Wundertaschenlampe beschrieb. Freudig kreuzte Paul noch den praktischen Baumstumpfentferner, die Sackkarre auf sechs Rädern und die aufladbare Klebepistole an, setzte Annettes Kontonummer zum Abbuchen darunter und nötigte sie zur Unterschrift. Auf diese Weise wurde der ge-räumige Keller zu einer Fundgrube für Hobby-Handwerker, mit dem kleinen Schönheitsfehler, daß Paul fast niemals Lust zum Werken hatte.
Der einzige Mensch, der sein Interesse für patente Novitäten teilte, war Markus.
Mit Begeisterung hatte er sich Pauls neueste Werkzeuge erklären lassen und das eine oder andere auch einmal ausgeliehen. Ob er alles wieder zurückgegeben hatte, war nicht ganz klar.
Erst nachträglich brachte Paul seinem Freund Verständnis entgegen: Es war bestimmt nicht leicht gewesen, mit Olga zusammenzuleben. Während einer Geschäftsreise seiner Frau erlebte er, wie wohlig man sich nach einem guten Abendessen bei Olga fühlte und wie eklig am nächsten Morgen das Aufwachen inmitten überfüllter Aschenbecher war. Abends noch aufräumen, wie Annette es immer tat, das war nicht Olgas Ding. Mit einem Frühstück war sowieso nicht zu rechnen. Sie gab zu, mit nüchternem Magen im Gymnasium zu erscheinen, wo sie sich von der Schulsekretärin einen Becher Kaffee kochen ließ.
Zu Pauls Verwunderung besaß Olga die gleiche alte Schallplatte, die auch Annette gern an dunklen Winterabenden abspielte. »Kenn’ ich fast auswendig«, sagte er, als er in Olgas Sammlung herumkramte, während sie in der Küche eine Flugente mit Mandarinensaft beträufelte.
Die Köchin zog den Kopf aus dem Backofen und erzählte: »Lange bevor wir dich kannten, haben Annette und ich diesen Liederzyklus für uns entdeckt. Als sie ihre Eltern verlor und ich unter Liebeskummer litt, haben wir gemeinsam zu dieser Musik geheult. Leg doch mal auf ...«
Mit gemischten Gefühlen hörte Paul jene Schubertlieder, die auch seine Mutter hin und wieder vortrug. Als noch die Stürme tobten, war ich so elend nicht, sang Olga aus der Küche, gemeinsam mit Deutschlands berühmtestem Bariton.
An diesem Abend gab es zum ersten Mal Streit. »Warum habt ihr euch niemals eine Putzfrau zugelegt?« fragte Paul, weil er wie so oft mit spitzen Fingern ein feines Haar aus der köstlichen Soße fischte.
Olga reagierte gereizt. »Die erste hatte eine Katzenallergie und ist schon nach einer Woche weggeblieben, die zweite hat das arme Tier mit dem Staubsauger bearbeitet. Seitdem kriegt Gattopardo die Panik, wenn er nur das Geräusch hört. Ich muß ihn wegsperren, wenn ich saubermache!«
Paul warf einen abschätzenden Blick auf Gattopardo, der eine Kreuzung aller langhaarigen Perser- und Angorarassen zu sein schien: »Wie alt ist er eigentlich?«
Damit hatte er es aber ganz und gar mit Olga verdorben. Wenn er etwa auf den baldigen Tod des Katers spekuliere, so sei er ein Mensch ohne Herz und könne sich seine Entenkeule sonstwohin stecken.
Zu spät begriff Paul, daß er mit dem Thema Putzen ins offene Messer gelaufen war. Immerhin hatte er noch die witzige Idee, sich die Entenkeule tatsächlich in eine
Weitere Kostenlose Bücher