Rabenbrüder
leiden, wenn ihre Frauen wesentlich mehr verdienen. Die gemeinsame Kanzlei mit einem Partner, dessen einziger Pluspunkt sein fließendes Türkisch war, hatte sich nicht gerade als Goldgrube erwiesen; die Lage über einem Dönerladen war auch nicht sonderlich attraktiv. Obwohl sie das wußte, hatte Annette es bisher vermieden, ihm eine Bankvollmacht zu geben, wozu auch - er besaß ja selbst sowohl ein privates als auch ein Betriebskonto. Als sie Pauls Bankauszüge aus dem Safe nahm, erschrak sie allerdings doch. Er steckte tief in den roten Zahlen, ohne daß er eine Andeutung darüber gemacht hatte.
Durch Annettes Tod wäre Paul alle Sorgen los, Olga könnte hier einziehen und ihm allabendlich Flamenco vortanzen. Hatte sie nicht neulich selbst daran gedacht, eine Bombe in Pauls Gepäck zu schmuggeln? Paul mußte zuweilen finstere Gestalten vor Gericht vertreten. Allerdings schien er für einen perfekt organisierten Mord viel zu unpraktisch, für einen eiskalten zu verträumt, für einen blutrünstigen zu zimperlich.
Aber kannte sie ihren Mann denn wirklich? Immer wieder hatte es Szenen gegeben, wo sie meinte, mit einem völlig Fremden verheiratet zu sein. Kürzlich hatte sie sich drei Seifenstücke gekauft, die man ihr in der Parfümerie als besonders edel empfohlen hatte. Annette gefiel die nostalgische Pappschachtel mit den rosa Nelken auf grün-goldenem Grund. Jede einzelne der runden Seifen war liebevoll in weißes Seidenpapier gewickelt und wie eine kostbare Zigarre mit einer Bauchbinde versehen. Parfumeurs depuis 1862 las sie entzückt und beschloß, die leere Schachtel später für ihre Kugelschreibersammlung zu verwenden. Nie hätte sie erwartet, daß Paul allergisch auf den aromatischfeinen Duft reagieren würde. Nicht daß er niesen und husten mußte, aber er verlangte allen Ernstes, daß sie die teure Seife wegwerfen sollte. Notgedrungen schenkte sie das Kästchen samt Inhalt ihrer Sekretärin Jessica. »Paul mag diesen Duft nicht«, sagte sie ratlos, »versteh’ einer die Männer.« Früher hatten sich Paul und Annette gelegentlich über Geschmacksfragen gestritten, aber in punkto Gerüche waren sie stets einig gewesen - drifteten sie jetzt auch in solchen Belanglosigkeiten auseinander?
Seit langem wußte Annette, daß auch ihr ererbtes Haus für Paul ein Problem war. Dabei stammte er selbst aus einer gutbürgerlichen Familie, die niemals finanzielle Engpässe durchgestanden hatte; irgendwann würde er auch eine Immobilie erben. Überdies mußte seine Mutter auf ihre alten Tage durch den Verkauf einer Villa zu einem eigenen Vermögen gekommen sein. Aber darüber sprach man nicht. Und mit ihr, der Außenstehenden, schon gar nicht. Pauls Bruder war allerdings leicht aus der Art geschlagen, erst durch Achim hatte Annette vom großväterlichen Anwesen in Dresden erfahren. »Feinste Lage«, hatte er ihr am Telefon voller Stolz gesagt, »eine Jugendstilvilla wie aus dem Bilderbuch, nur leider etwas heruntergekommen. Weißt du, Kleines, wenn sich meine Alten beim Verkauf nicht allzu dämlich anstellen, könnten sie den Deal ihres Lebens machen.«
Achim gehörte zum Stamme Nimm, wie Paul sich ausdrückte. Sicher hatte er bereits häufig Anleihen bei seinen Eltern gemacht, wozu Paul aus Stolz nicht in der Lage wäre.
An diesem Abend sah Annette immer wieder auf die Uhr. Wann mochte Paul nach Hause kommen? Ob er mit Olga die Einzelheiten der Spanienreise durchging? Das Stichwort Granada verdiente seinen Namen zu Recht - es wirkte auf Annette wie ein Nadelstich. Reichlich spät kam ihr auf einmal der Gedanke, daß Paul seinerseits auch verletzt sein mußte. Er hatte es sicher als Lieblosigkeit empfunden, daß sie eine Wiederholung ihrer andalu-sischen Flitterwochen boykottiert oder zumindest auf Ungewisse Zeit verschoben hatte.
Paul erschien früher als erwartet, sie hatte noch kein Teewasser aufgesetzt und beeilte sich mit dem Tischdek-ken. Wie stets warf er den Sakko aufs Sofa und griff nach der Zeitung.
»Anscheinend geht’s dir wieder gut?« stellte er lesend fest, ohne mit einer Antwort zu rechnen.
Während Annette die Brote bestrich, sagte sie beiläufig: »Übrigens hat Markus gestern angedeutet, daß er eine Neue hat. Weißt du etwas Näheres? Du mußt ihn doch gelegentlich treffen, wenn du ihn berätst ...«
Schon war Pauls Mißtrauen geweckt. Bei der Scheidung gebe es nicht viel zu beraten, wehrte er ab.
»Und wer ist seine Neue?«
Beinahe hätte Paul gesagt eine polnische Putzfrau, aber er
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