Rabenbrüder
über den Kopf. Im Traum sorgte sie für den Tod ihrer Rivalin.
Eine Zeitlang hatten sich die Ehepaare Baumann und Wilhelms ausgezeichnet verstanden, fast jede Woche etwas miteinander unternommen und sich häufig gegenseitig besucht. Während alle ihre früheren Freunde mit der Aufzucht und den Problemen ihres Nachwuchses beschäftigt waren, blieben sie als einzige kinderlos.
Im Gegensatz zu Annette und Paul hatten sich Olga und Markus ein Kind gewünscht und sogar eine Adoption erwogen. Annette hatte ihnen dringend abgeraten, weil sie von einem Fall in ihrer Bekanntschaft wußte, der sehr unerfreulich verlaufen war. Aber zum Glück kreiste nicht je-des ihrer Gespräche um dieses Thema; Annette und Olga interessierten sich für Literatur, Paul und Markus für Erfindungen, Entdeckungen und Expeditionen. Einmal verbrachten sie sogar zu viert einen gemeinsamen Urlaub in einem winzigen apulischen Ferienhaus. Als es kurz danach zwischen Markus und Olga zu kriseln begann, wurden sie nach mehreren peinlichen Szenen von den Wilhelms nicht mehr eingeladen. Sowohl Annette als auch Paul hatten keine Lust, bei einem Ehekrieg die Schlichter zu spielen oder gar für einen der beiden Freunde Partei ergreifen zu müssen. Wahrscheinlich berührten die aufgedeckten Probleme des anderen Paares auch bei Paul und Annette einen wunden Punkt.
Irgendwann mußte Paul erneut Kontakt zu Olga aufgenommen haben, ohne daß er Annette etwas davon verriet. Insofern war klar, daß er von Anfang an ein schlechtes Gewissen hatte, denn ein zufälliges oder harmloses Treffen hätte er ihr sicherlich nicht verschwiegen. Umgekehrt war es wiederum möglich, daß die Initiative nicht von Paul, sondern von Olga ausgegangen war, weil sie sich einsam fühlte; bereits vor Jahren hatte sie von einer verkehrsberuhigten Ehe gesprochen.
Am nächsten Morgen erklärte Annette, sie habe die Grippe. Doch sobald sie allein war, zog sie sich den Bademantel übers Nachthemd und wurde aktiv. Genüßlich hängte sie ihren schwarzen Rock und das kamelfarbene Jackett mit dem abknöpfbaren Pelzkrägelchen zurück in den Schrank. Das alles war heute nicht nötig. Sie rief ihre eigene Sekretärin sowie die ihres Chefs an, um sich krank zu melden. Dann setzte sie sich Kaffeewasser auf und schob zwei Scheiben Weißbrot in den Toaster. Seit langem hatte sie nicht krankgefeiert, nun wollte sie es auskosten. Mit einem Frühstückstablett auf dem Nachttisch und der Zeitung auf den Knien würde eine kleine Zwangspause ihr vielleicht helfen, sich wieder zu fangen. Es war zwar nicht ungemütlich, dieses einsame Frühstück, aber es wollte ihr trotzdem nicht recht schmecken.
Ohne mehr als die Überschriften zu überfliegen, blätterte sie im Lokalteil des Morgenblatts, wo sie ein Foto von Olgas Exmann Markus entdeckte. Sie wußte immer noch nicht genau, ob die beiden inzwischen geschieden waren.
»Dr. M. Baumann wird neuer Chefarzt im Marienkrankenhaus« lautete die Überschrift. In einer gesonderten Rubrik war der Werdegang des bisherigen Oberarztes Baumann stichwortartig nachzulesen, ein Interview folgte. Im Grunde erfuhr Annette nichts Neues, denn sie wußte, daß Markus seit Jahren auf diesen Posten spekuliert hatte. Ob er mittlerweile eine eigene Adresse hatte? Sie holte sich das dicke Telefonbuch ans Bett. Unter den aufgelisteten Baumanns war ihre Freundin die einzige Olga; Markus war zum Glück zwischen seinen vier Namensvettern am Doktortitel zu erkennen. Offensichtlich war er in den Mannheimer Stadtteil Vogelstang umgezogen.
Annette trank ihren Kaffee aus und bestrich den zweiten Toast mit Butter, die auf den lavendelblauen Bettbezug tropfte. Abgesehen von dieser Panne ließ sich von ihrer Schlafzimmerzentrale aus ganz gut regieren, vor allem konnte man in entspannter Haltung nachdenken. Das schnurlose Telefon lag griffbereit auf dem Nachttisch. Gedankenverloren klaubte sie Brotkrümel von der Bettdecke. Sie könnte Paul gegenüber ja vorgeben, wie geplant am Gründonnerstag auf Geschäftsreise nach Venezuela zu fliegen, in Wirklichkeit aber in Granada landen. Dort würde sie Paul und Olga in flagranti erwischen und zur Rede stellen.
Ob man für die Karwoche noch einen Flug nach Andalusien buchen konnte?
Annette rief vorsichtshalber nicht das Reisebüro ihrer Firma an, sondern einen kleinen Laden in der Nähe.
»Es geht doch um Granada? Gut, daß Sie sich melden, Frau Wilhelms«, sagte eine Angestellte in erfreutem Ton, noch ehe Annette ihre Frage vorbringen konnte.
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