Gebrauchsanweisung für Schwaben
Der Schwabe und sein Schwabenland
Ja freilich.
Mit den Schwaben kennt man sich aus im großen deutschen Vaterland. Da kann jeder mitreden. Das sind doch die Nachkommen jener tölpelhaften Sieben Schwaben, die vor einem Häslein flohen, weil sie es für ein Ungeheuer mit feurigen Augen hielten. Das sind doch die Urenkel jenes famosen Götz von Berlichingen, der laut Goethe dem Hauptmann der kaiserlichen Armee bestellen ließ, er könne ihn am, will sagen im – na ja, der Rest ist bekannt. Und schließlich sind das jene etwas beschränkten, weil maulfaulen Leute, die sogar die Schotten in puncto Geiz übertreffen und ihr Leben an dem Grundsatz »Schaffa, spara, Häusle baue« ausrichten. Dazu noch ein paar Zeilen aus Ludwig Uhlands Ballade »Schwäbische Kunde« über ungemein wirksame Schwertstreiche (»Als Kaiser Rotbart lobesam, zum heil’gen Land gezogen kam«), ein paar dahingeschnaufte Zitate des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss, ein röhrender Porsche, unweit daneben der leuchtende Mercedesstern – und fertig ist das Schwabenbild.
Putzige Leutchen sind das da drunten im tiefen Süden, angesiedelt zwischen Hefezopf und Kuckucksuhr. Stellen sich abends mit dem Bauch an den Kachelofen, um das Mittagessen aufzuwärmen, haben dem schnurlosen Telefon den Namen gegeben, weil einer von ihnen fragte: »Hän’di koi Kabel?«, schwäbeln unverständlich durch die Nase und bemühen mit ihrem dauernden »Grüß Gott, grüß Gott« den Namen des Herrn.
Oha, jetzt geht uns aber gleich der Gaul durch. Deshalb ein paar kleine Korrekturen. Zum Beispiel die, daß sich unter den sagenhaften Sieben Schwaben zwar zwei Allgäuer, der Überlinger Seehas, der Bopfinger Gelbfüßler und der Nestelschwab aus dem Breisgau befanden, aber kein einziges Neckartäler Mannsbild. Zum Beispiel zweitens, daß der Götz von Berlichingen, wie auch der hochgeschätzte frühere Journalist und spätere liberale Präsident Theodor Heuss genaugenommen keine Schwaben waren, sondern Franken. Und daß der göttliche Gruß keine Blasphemie ist, sondern ein Relikt aus besseren, frommeren Zeiten: »Gott grüße dich« – und das soll ja besagen: Gott segne dich. Außerdem ist das Schwabenland, wie der Theologe und Historiker Christian Gottlob Barth schon 1843 festgestellt hat, neben Palästina das einzige »gelobte Land«. Und sei es nur, »weil es kein besseres gibt in der ganzen Welt, und weil es wenigstens von den Schwaben gelobt wird, wenn es auch niemand sonst loben wollte«.
Auf der Roten Liste
Leider stirbt dieses Wissen langsam aus. Längst stehen die richtigen Schwaben auf der feuerroten Liste der bedrohten Arten. Nehmen wir einfach einmal ein spezielles Biotop, die Landeshauptstadt Stuttgart, als Muster für eine kleine Bestandsaufnahme.
Rund 600 000 Einwohner hat die Stadt an Neckarfluß und Nesenbach. Doch wer glaubt, er werde auf der Königstraße mit ganzen Schwabenrotten konfrontiert, der irrt sich. Schließlich kommt jeder vierte Stuttgarter aus Italien, Spanien, Griechenland, Kroatien, der Türkei oder sonstwoher. Mehr als die Hälfte der verbliebenen 450 000 Deutschen besteht längst aus Preußen, Hessen, Badenern, Westfalen, Nieder- und anderen Sachsen, die alle ihre eigene Mundart importiert haben. Von den 200 000 Einheimischen ist die Hälfte auf Dienstreise oder im Urlaub, und wiederum die Hälfte der übriggebliebenen 100 000 steckt auf den Autobahnen 8 und 81 im Stau. Ziehen wir von den 50 000 die Kinder und die Alten ab, bleiben gerade noch
25 000 Präsenzschwaben übrig – doch 22 000 davon sind durch den Einfluß von Vorschulerziehung, Fernsehen und dem streng »proissisch« parlierenden Südwestrundfunk sprachlich längst deformiert. Wobei preußisch alles ist, was nicht schwäbisch, badisch oder bairisch klingt. Jedenfalls sind selbst viele gebürtige Schwaben heute außerstande, ihr Losungswort »O’a’g’nehm« korrekt auszusprechen.
Blieben theoretisch gerade noch 3000 waschechte schwäbische Stuttgarter übrig, doch leider sind die meisten von denen nach Hamburg oder Berlin ausgewandert, wo sie als Manager, Drehbuchautoren, Prominentenfriseure, Journalisten oder Wirte Entwicklungshilfe für den Rest der Republik leisten. Man sieht, die paar Leutchen, die als kernfeste Schwaben durchgehen, könnte man in einer Untertürkheimer oder Cannstatter Weinbeiz unterbringen.
Das war einmal ganz anders. Oder eigentlich doch nicht. Die Schwaben sind sich zwar ganz sicher, wie ihr Musterländle einstmals
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