Rabenflüstern (German Edition)
Unterkünften und dem spärlichsten Essen zufriedengeben. »Wir dienen einer höheren Sache als unsrem körperlichen Wohl«, maßregelte der Priester dann immer die enttäuschten Augen des Jungen, wenn sie wieder einmal Suppe statt Fleisch vorgesetzt bekamen.
Lange waren sie unterwegs und manchmal, wenn der Schlaf sie nicht übermannen wollte, saßen Kraeh und der blonde Jüngling des Nachts beisammen und spotteten über das Geschwafel ihres schnarchenden Führers. So auch in dieser Nacht. Sie waren nur noch eine Tagesreise von Brisak entfernt und womöglich war dies die letzte Gelegenheit, sich auszutauschen. Wie schon des Öfteren reichte der Krieger dem Jungen einen Streifen Pökelfleisch, den er in der zuletzt besuchten Siedlung auf einem Bittgang zu dem dort ansässigen Bürgermeister von seinem Geld, das er wohlweislich verborgen hielt, erstanden hatte.
»Du bist nicht der, für den du dich ausgibst«, sagte der Junge schlicht.
Kraehs Finger auf den Lippen bedeutete ihm, leiser zu sprechen. Zwar klang es, als würde Orlaf einen ganzen Wald absägen, doch man wusste ja nie …
»Wie kommst du darauf?«, hakte Kraeh dann doch nach.
»Neulich beim Baden im Bach sah ich, wie dein Haar sich verfärbte.«
Der Krieger unterdrückte ein Fluchen.
»Meinst du, Orlaf hat es auch gesehen?«
Der Junge schüttelte den Kopf. »Nein. Er hatte nur Augen für die Brüste der Waschweiber.« Er kicherte und Kraeh entspannte sich.
»Leif, hör mir zu. Ich werde nicht lange in Brisak bleiben und kann mich dort nicht um dich kümmern. Du musst versuchen, die Stadt so bald wie möglich zu verlassen …«
»Das werde ich.« Das Herz des Kriegers wurde schwer, wie der Junge, der Unschuld und Kindheit zu früh verloren hatte, auf den geschenkten Dolch starrte, den er stets in seinem Hosenbund versteckt hielt.
»Was wirst du tun?«
Die schmale Klinge funkelte im Mondschein. »Ich werde meine Geschwister befreien«, sprach er kühl, schauderte aber bei dem Gedanken an seinen Vater.
Was sollte er ihm raten? Die Verantwortung auf den Schultern seines kleinen Freundes bedrückte ihn.
»Tu das«, sagte er schließlich schwer. »Und dann fliehe mit ihnen in die Berge. Frage nach Orthan dem Zauberer und sage, die Kriegskrähe schicke euch.«
Der Junge sah überrascht auf und nickte heftig. Dann gähnte er und rollte sich in seine Decke ein.
Der große Krieg
Die Gemeinschaft des Dorfes, die dieser Erzählung lauschte, musste sich immer mehr in Geduld üben. Hustenanfälle schüttelten den Greis und ließen die Abende früh enden. Zumindest den Erwachsenen schien klar, dass das Lebenslicht des Alten im Begriff war zu erlöschen.
Der Spätsommer hatte frühem Frost und einem in Mark und Bein fahrenden Nordwind Platz gemacht. Kaum einer wagte noch, den Alten zu unterbrechen, aus Angst, er würde den Faden verlieren, den er mühevoll, oft die Lider geschlossen haltend, mit dem inneren Auge verfolgte. Zuweilen erschien es gar, als spreche er im Traum oder Fieber. Kissen hielten ihn bei seinen Schilderungen aufrecht, erschreckend selten noch bat er den Skalden, ihn bei einem Spaziergang zu stützen.
Erleichtert seufzend hatte er gerade die letzte Episode hinter sich gebracht, rieb sich die faltigen Hände über einer Feuerschale und musterte die Runde seiner Zuhörer.
»Auf, meine Freunde, fragt ruhig«, ermunterte er sie und schmunzelte, da er die peinliche Berührtheit über seinen Zustand in ihren Gesichtern las.
Es war Hegferth, der sich als Erster ein Herz fasste. Seine Miene hatte sich aufgehellt, als der Alte Kraehs Abneigung gegen die neue Religion beschrieben hatte. Denn auch in ihren Tagen erfreute sich der Eingottglauben außerhalb der Abgeschiedenheit, in der sie lebten, eines hohen Zuwachses. Somit war die Verunglimpfung seiner Götter in ein neues Licht gerückt worden.
»Bei aller Religionsfeindlichkeit liegt die Kriegskrähe nun doch begraben nach dem Brauch der Moneden«, tastete er sich vor.
Der Greis winkte ab. »Man kann sich nicht aussuchen, was mit einem geschieht, wenn man erst mal hinübergegangen ist. Außerdem waren die Begräbnisbräuche damals andere als heute«, gab er schlicht zu bedenken. »Aber lass uns die anderen nicht wieder mit theologischen Erörterungen langweilen.« Seine Finger suchten nach der Pfeife, die ihm von der kleinen Kaila sogleich hilfsbereit gereicht wurde.
Im glimmenden Schein der glühenden Kohlen schienen die
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