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Rabenflüstern (German Edition)

Rabenflüstern (German Edition)

Titel: Rabenflüstern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Schmidt
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er ein paar zaghafte Schritte nach vorn, bis der Priester auf ihn aufmerksam wurde. Kraeh trat ebenfalls näher, um das Gespräch zu belauschen. 
    »Vater, ich habe gesündigt«, hob der Junge kleinlaut an. 
    »So?«, wurde er sogleich von dem Priester bekräftigt fortzufahren. 
    »Meine Schwester und ich«, er deutete auf ein Mädchen mit verheulten Augen, »hatten Hunger. Vater war nicht zu Hause …« 
    Der Bezeichnete, ein ganz und gar widerwärtiger Kerl, dessen aufgeplatzten Äderchen an der Nase ihn unzweideutig als Trunkenbold auswiesen, hob erneut die Hand. Diesmal wäre es zum Schlag gekommen, hätte der erhobene Zeigefinger des Priesters nicht Einhalt geboten. 
    »Keiner von uns ist frei von Schuld«, maßregelte er den Vater. »Wichtig ist nur, dass wir unsre Fehler einsehen.« 
    Zugleich eingeschüchtert und erbost, jedenfalls aus dem Konzept gebracht, nuschelte der Mann etwas Unverständliches in seinen verklebten Schnurrbart, rief dann aber, zu seinem eigentlichen Ansinnen zurückgefunden: »Eier hat er gestohlen! Und nicht das erste Mal! Einen Dieb habe ich großgezogen, einen verdammten Dieb!« Die Mutter weinte im Hintergrund, dem Jungen schien alles gleichgültig geworden zu sein, als er auf die Nachfrage, ob das denn stimme, ein schlichtes »Ja« verlauten ließ. 
    Das Gespräch ging noch ein wenig weiter, doch Kraeh bekam den folgenden Teil nicht mit, weil er glaubte, ein ihm bekanntes Gesicht ausgemacht zu haben. 
    Am Ende einigte man sich auf eine einmalige Zahlung von zwei Bronzestücken, die der Vater dem Priester zähneknirschend in die Hand drückte. 
    »Geh und verabschiede dich von deiner Familie«, sagte der Priester. »Schon morgen reisen wir nach Brisak, wo deine Ausbildung beginnen wird.« Und als der Junge innig seine Schwester drückte, ging Kraeh spontan auf den Robenträger zu. 
    »Auch ich habe gesündigt, Vater«, wandte er sich an ihn. Das gleiche »So?« wie zuvor kostete ihn einige Überwindung, an dem spontan gefassten Plan festzuhalten. Er habe Schlimmes getan, einer Räuberbande habe er sich angeschlossen, geraubt und gestohlen. Ob selbst einem Verbrecher wie ihm vergeben werden könne, fragte er scheinheilig. Bereue er denn aufrichtig seine Schandtaten? Das tue er. So sei es recht. Und auf die unter Kraehs Mantel herauslugende Scheide blickend, fügte er hinzu: »Die Kirche braucht nicht nur Priester, sondern auch Männer, die nicht zögern, sie auch mit dem Schwert zu verteidigen.« 
    »Wo wir gerade bei meiner Vergangenheit sind …«, deutete Kraeh vielsagend an. Sein Gegenüber lächelte. »Keine Sorge, niemand wird davon erfahren«, versprach der Priester. Nicht dass Kraeh ihm auch nur ein Wort geglaubt hätte. Vermutlich dachte der Narr, damit ein ewiges Druckmittel gegen ihn in der Hand zu haben. Aber was kümmerte ihn das? Er hatte ohnehin nicht vor, diesem Rattenfänger länger als nötig Gesellschaft zu leisten.  
    Sie verabredeten sich für morgen früh, während der Junge gleich bei seinem neuen Vormund blieb. 
    Ohne zu wissen, wen oder was er suchte, gab Kraeh sich einfach dem Strom menschlicher Leiber hin. Der Markt beschrieb einen Kreis um alte und etwas marode wirkende Gebäude. Obwohl hier viele zusammenkamen, waren die Menschen stets bemüht, Berührungen zu vermeiden. Kaum einer stieß ihn oder sein Pferd an, und wenn es geschah, folgten eine Entschuldigung oder ein scheuer Blick.  
    An einem Ladentisch, auf dem einige Messer ausgebreitet lagen, hielt er inne und besah sich die kunstvoll bearbeiteten Griffe. Als er sich für eines entschieden hatte – ein schönes Stück, dessen feste Klinge sich durch zwei zusammengenagelte Teile aus Horn zog –, fragte er den Händler nach dem Preis. Es war das Gesicht, das ihm aufgefallen war. Wäre der kleine Mann nicht auf einem Schemel gestanden, wäre er bis zum Scheitel hinter seiner Auslage verschwunden. Sein runder, feister Kopf mit den prallen Backen war unverkennbar. Bloß der Bart, der bei ihrem letzten Zusammentreffen seine Züge bestimmt hatte, war verschwunden. Es war Bretel, der Schmied, dem sie in Haagstadt begegnet waren und dessen Gastfreundschaft sie genossen hatten. Falls er Kraeh erkannt hatte, ließ er es sich nicht anmerken. 
    »Zwei Silberstücke«, brummte er. 
    »Zwei?!«, begann Kraeh zu feilschen. »Dafür bekäme ich ein Kurzschwert.« 
    »Nein, junger Mann. Früher vielleicht … Heutzutage ist der Verkauf von Waffen an Bürger verboten. Oder bist du etwa ein Soldat des

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