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Rabenflüstern (German Edition)

Rabenflüstern (German Edition)

Titel: Rabenflüstern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Schmidt
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Sommersprossen in den vorwitzigen Zügen des elternlosen Jungen namens Fried buchstäblich zu tanzen. 
    »Na?« 
    Mehr bedurfte es nicht, schon sprudelte es aus dem Wissbegierigen zügellos heraus: »Ich verstehe Sedain nicht. Weshalb lässt er gerade jetzt seinen besten Freund im Stich, wo die Kacke doch am Dampfen ist?« 
    »Fried!«, mahnte Martha, die Frau des Schreiners. »Achte bitte auf deine Worte!« 
    »Und weiter?«, überging der Alte ihren Einwurf. 
    Er lief Gefahr, sich zu verhaspeln, allein der gutmütige Blick des Alten half ihm, sich zu sammeln. In gediegener und für sein Alter hochgestochener Sprache fuhr er fort: »Überhaupt habe ich Probleme, die Handlungsweisen der verschiedenen Personen nachzuvollziehen … Irgendwie bleiben sie schemenhaft. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, sie sind bloß da, um dem Helden die Worte zuzuspielen.« 
    Diesmal war das Grinsen des Greises breit und lang anhaltend. 
    »Eine sehr kluge Einsicht, mein Junge. Wirklich sehr klug …« 
    Stolz spiegelte sich in Frieds Augen wider. 
    »Du fragst nach der Perspektive«, konstatierte der Ohm und blies dabei einen Rauchring in die Luft, der langsam nach oben schwebte. 
    »Meine Absicht ist es, euch die Geschichte von Kraeh der Kriegskrähe weiterzugeben. Aber auch sein Charakter dürfte, ohne eigenes Zutun, schwammig auf euch wirken. Eben das«, ein zweiter Ring folgte dem ersten, »macht einen guten Zuhörer aus: die Lücken durch Fantasie zu füllen. So kann ich euch natürlich umschreibend sagen, mit welcher Schönheit die Königin der Druden gesegnet war, doch sind das eben nur Worte, leere Hülsen. Das Bild von ihr kann einzig in euren Köpfen entstehen.« 
    Auch der Skalde grinste in sich hinein. Wie oft hatte er den Leuten schon versucht nahezubringen, dass sie die Leerstellen der alten Mythen, die er professionsgemäß vortrug, selbst ausfüllen mussten? 
    »Um anschaulicher zu werden … Habe ich erwähnt, dass Kraeh die Entscheidung einer Schlacht von dem Willen seiner Männer abhängig machte?« 
    Fried bestätigte. 
    »Nun, zuvor habe ich einiges über sein Wesen gesagt. Wenn ich nun an späterer Stelle resümiere, der Bruch der beiden sei absehbar gewesen, liegt es an dir und euch allen, diese Dinge sinnvoll miteinander zu verknüpfen.« 
    Lorenz hüstelte, offenbar war ihm dieses Gerede zu hoch, was der Alte nach kurzem Sinnieren zum Anlass nahm, eine Probe aufs Exempel zu machen. 
    »Bleiben wir bei dem Beispiel. Warum wohl verlangte es Kraeh nach einer Abstimmung? So etwas war nicht nur für damalige wie heutige Zeiten untypisch, es war, wie wir gelernt haben, auch höchst gefährlich und in der Rückschau wahrscheinlich sogar zweckwidrig.« 
    Schweigen erfüllte den verqualmten Raum. Schließlich wagte sich eine hübsche, doch zugleich bisher unscheinbare Frau vor, die den Säugling an ihrer Brust sanft in den Schlaf gewiegt hatte. »Er scheute die Verantwortung?« 
    »Sehr gut, und weiter?« 
    Ermuntert durch die Worte des Ohms fuhr sie laut nachdenkend fort: »Wenn Männer sich vor der Verantwortung scheuen, kaschieren sie das häufig durch Ideale.« Ein Mann, der einer der möglichen Väter des Kleinkindes war, lief rot an, wovon die Frau sich in keiner Weise beirren ließ. »In dem Fall würde ich sagen …«, sie stockte, »… Kraeh hat versucht, es sich leichter zu machen. Er glaubte wohl, durch diesen Gleichheits- und Mündigkeitsgedanken zu beweisen, dass im Sinne aller gehandelt werde. Natürlich hatte er sich das bloß vorgemacht, um vor sich selbst besser dazustehen.« Sie war mit ihrer Einschätzung sichtlich zufrieden, holte sich aber sofort eine kleine Rüge ein. 
    »Lasst uns nicht voreilig schließen, die verborgenen Motive anderer zu kennen, und hüten wir uns auch davor, allzu schnell über ihre Handlungen zu urteilen, aber grundsätzlich stimme ich mit dir überein. Meiner Ansicht nach trieben ihn beide von dir genannten Dinge gleichermaßen an. Einerseits vermute auch ich, dass es einem schwerfallen muss, ständig für Leben und Tod vieler Menschen die Verantwortung zu tragen, und dass man sich in einer solchen Position wünscht, nicht alleiniger Träger dieser Verantwortung zu sein. Andererseits, und hierin lernen wir wiederum, wie schnell man als Zuhörer von allzu persönlichen Hintergründen aus auch irren kann, gibt es in der Regel eine höhere Instanz. In diesem Fall die des Zeitzeugen.« 
    Der Alte paffte genießerisch, indes einige sich an dem

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