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Rabenflüstern (German Edition)

Rabenflüstern (German Edition)

Titel: Rabenflüstern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Schmidt
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Lidunggrimm einen Kreis. Die Reflexe Niedswars waren beeindruckend. Blitzartig hatte er sich nach hinten gebeugt, sodass die Klinge lediglich seine Wange ritzte. Die Züge des Priesters, der neben ihm stand, fanden kaum die Gelegenheit, die Überraschung auszudrücken, bevor die Schneide durch seinen Hals fuhr. Für den Bruchteil eines Augenblicks schien die Schwerkraft zu zögern, dann rutschte der runde Schädel von seinem Torso. Kraeh nutzte die Verdutztheit aller Anwesenden, sprang und brachte dadurch zwei Tische zwischen sich, den Seher und Wintar, die nun ebenfalls ihr Schwert in der Hand hatte. 
    Anders als der Fuchs im Hühnerstall sah der Krieger mehr als die Aussicht, von einer Mistgabel aufgespießt zu werden. Noch ein Satz und er war in unmittelbarer Reichweite der Fenster. Das ovale Milchglas war von hölzernen Streben durchzogen. Schmerzhaft, aber nicht unmöglich, schoss es ihm durch den Sinn. Zuvor jedoch hatte er noch etwas zu sagen. In theatralischer Geste brachte er den Geldsack zum Vorschein, den er stets am Körper trug. Mit ausgestrecktem Arm hielt er ihn vor sich, in der anderen Hand das Schwert, und rief: »Wer sich im nächsten Jahr zu angegebener Zeit an meine Seite begibt, den erwartet nicht nur Freiheit von diesem Bastard«, die Spitze Lidunggrimms zeigte auf Niedswar, »sondern auch Reichtum!« Mit einer schnellen Bewegung schnitt er den Sack auf, dass die Münzen sich überall im Raum verteilten und klimpernd zu Boden fielen. Sogleich stürzten sich die Gäste auf den unverhofften Schatz. Während alle Blicke, außer natürlich die von Niedswar und Wintar, Boden, Stühle und Bänke abzusuchen begannen, sprang er. Glas und Holz gaben splitternd nach, schnitten ihm böse ins Fleisch, entließen ihn aber ins Freie. Ohne den Schmerzen Beachtung zu schenken, rollte er sich ab und rannte los. Es klirrte erneut, aber er nahm sich nicht die Zeit, sich umzuschauen, wer sich da an seine Fersen heftete. Während er den ersten Verteidigungsring passierte, erschallten die Signalhörner. Schon beim nächsten Torbogen musste er sich unter zwei Hellebarden hindurchducken. Immer noch das Trappeln schneller Schritte hinter sich, stieß er einen Wächter um, der ihm den Weg versperren wollte. Es war sein Glück, dass er den Fluchtweg genau im Kopf hatte und dass der Ausnahmezustand wenig geprobt worden war, sodass die Soldaten verzögert reagierten. Erst bei der letzten Mauer schien sein Weg zu enden. Acht Speere erwarteten den Krieger dort vor den fest verschlossenen Torflügeln des Osttores. Er wich den etwas verschlafen dreinblickenden Männern aus und machte sich eilig daran, eine Leiter, die auf die Wehrgänge führte, zu erklimmen. Oben angekommen verschaffte er sich gehetzt einen Überblick. Von beiden Seiten strömten Bewaffnete aus den Wachtürmen auf die Wehranlage. 
    Lidunggrimm war bereit, sie willkommen zu heißen, doch wurden die Männer von einer Frauenstimme zurückgepfiffen. Wintar war auf dem gleichen Weg wie er auf der Mauer erschienen. »Er gehört mir!«, gellte ihr Ruf noch einmal. Die Soldaten, vor allem die vordersten, gehorchten gerne. Keiner von ihnen verspürte große Lust, in den Einflussbereich des Verrückten zu geraten, dessen Pose nur allzu deutlich zeigte, wie wenig dieser an Aufgeben dachte, und dessen unheimliches Schwert den Schein des Vollmondes reflektierte. Vorsichtig gingen sie rückwärts, um den Widersachern Raum zu verschaffen. 
    »So sieht man sich wieder«, stieß Kraeh zu allem entschlossen hervor. 
    Die Mundwinkel zu einem hochmütigen Lächeln verzogen, kam die Vampiri auf ihn zu. 
    »Niedswar hatte recht, du bist tatsächlich ein Narr, hierher zu kommen«, sagte sie und führte den ersten Streich. Etwas stimmte nicht. Ein zweiter und ein dritter Hieb. Kraeh parierte. Die Angriffe waren zwar flink geführt, zielten auf Brust oder Hals, waren jedoch in ihrer Wirkung zu schwach. Eindeutig, sie bremste ihre Hiebe ab. Was hatte sie vor? 
    Als die Klingen sich erneut trafen und die beiden sich, eine Kraftprobe vortäuschend, so nahe kamen, dass sie den Atem des anderen im Gesicht spürten, wisperte sie ihm zu, er solle ordentlich mitspielen oder ihrer beider Leben sei verwirkt. Es war ja nicht so, als hätte er eine Wahl gehabt. Hart stieß er sie zurück. Um ein Haar wäre sie gestürzt, fing sich aber im letzten Moment und landete auf den Ballen. Nun schlug der Stahl Funken. Immer wieder wechselten sich Parade und Riposte ab, wobei Kraeh sich unmerklich in

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