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Rabenflüstern (German Edition)

Rabenflüstern (German Edition)

Titel: Rabenflüstern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Schmidt
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hielt er inne, lehnte sich an das Geländer und dachte über sein weiteres Vorgehen nach. Irgendetwas hatte ihn unvermeidlich hierher getrieben. Jetzt wusste er auf einmal nicht mehr, was es gewesen war – sonderbar. Kurzerhand entschloss er sich, einfach weiterhin seiner Nase nachzugehen. 
     
    Haifischbecken war der einzige Begriff, der ihm zu der Unterwasserszenerie einfiel, in der er sich paddelnd, schwebend, tauchend befand. Er spürte Druck auf seinen Ohren, ohne zu begreifen wie, war ihm das Atmen möglich. Was ihn schaudern ließ, waren weniger die kolossalen, halb geöffneten Schlünde der Wale, Haie und Fische, die ihm fremd und sonderbar waren, als vielmehr deren Dimensionen. Sie waren so groß und zahlreich, dass er Mühe hatte, die Abstände richtig einzuschätzen. In der Hülle seines winzigen Körpers gefangen, fühlte er sich nichtig in Anbetracht all jener Weiten. Gerade noch im rechten Moment sah er sich um und wich mit kräftigen Zügen einer monströsen Zahnreihe aus.  
    »Wach auf!«, durchdrang eine bekannte Stimme den Raum. Schweißgebadet richtete er sich auf und fand sich im Bett der kleinen Roten wieder. 
    »Ein böser Traum?«, fragte sie. 
    »Aye«, sagte er noch halben Blicks in der Traumwelt verhaftet. Aus dem schiefen, von Stoff verhangenen Fenster drang kein Licht mehr. Er musste nach dem Stelldichein lange geschlafen haben. 
    »Du solltest jetzt gehen«, warnte das Freudenmädchen. 
    Um ihre Augen erkannte er kleine Fältchen, die ihm beim letzten Besuch noch nicht aufgefallen waren. Einen Atemzug lang überlegte er, die nackten Brüste vor ihm erneut zu liebkosen, doch sie hatte natürlich recht, es war an der Zeit zu gehen. Er nickte. 
    »Nimm den Hinterausgang.«  
    Und als er sich angekleidet hatte, setzte sie flötend hinzu: »Vergiss nicht, du hast hier keine Freunde mehr – außer mir, versteht sich. Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder.« 
    »Das hoffe ich auch«, sagte er ehrlich und verließ das ärmliche Zimmer. Während er durch enge Gänge zur Rückseite des Gebäudes schlich, vergegenwärtigte er sich das Gespräch, das sie geführt hatten, während sie ihm den Rücken massiert hatte.  
    Ihre Daumen in seine verspannten Muskeln bohrend hatte sie gemeint, es sei eigentlich alles wie immer, abgesehen von den Glockenschlägen, die man nachts aus der Tiefe höre. Die Priester auf den Straßen erzählten den Bürgern, es handle sich um eine Andacht zu Ehren des verstorbenen Theodosus. Nachdem er aber eine Weile beharrlich geblieben war, sie solle doch genauer nachdenken, hatte sie einen Vorfall erwähnt, der ihr nicht nennenswert erschienen war, Kraeh hingegen einiges erklärte. Irgendwann zu Beginn des Herbstes habe es eine Nacht gegeben, die ein jeder Bewohner Brisaks vollends verschlafen habe. Ungewöhnlich daran sei, dass selbst sie und all jene – sie habe nämlich Nachforschungen angestellt –, deren Geschäftsleben nach Einbruch der Dunkelheit erst beginne, sich nicht mehr an diese Nacht erinnern können. Allmählich vermochte sich der Krieger einen Reim auf diese Geschichte machen. Es musste sich folgendermaßen abgespielt haben: Niedswar hatte mittels Zauberkraft die Stadt in Schlaf versetzt, um ungehindert und ohne Zeugen mit seiner Dämonenarmee auszurücken, die zweifellos in den Schächten unter der Feste hauste. 
    Als er eine von außen leicht übersehbare Seitentür öffnete und zum ersten Mal den dumpfen Glockenschlag vernahm, überkam ihn eine Gänsehaut bei dem Gedanken daran, was just in diesem Augenblick tief unter ihm, vor den Augen der Menschen verborgen, vor sich ging. Sein Magen knurrte und angesichts der Tatsache, dass der Feind wohl kaum mit seiner Unverfrorenheit, sich in seinem direkten Einflussbereich aufzuhalten, rechnen konnte, entschied er sich, das Wagnis einzugehen und das Abendmahl in einer der Kasernenunterkünfte zu sich zu nehmen. Er dürfte durchaus als Soldat in Zivilkleidung durchgehen und dort würde er am ehesten Neuigkeiten über den Krieg erfahren. Die Gefahr, erkannt zu werden, schätzte er auch deshalb als gering ein, weil die besten Kämpfer sich fern der Heimat an der Front befanden. Dergleichen im Kopf, betrat er schließlich einen vor den Schlafsälen liegenden Schankraum. Er war trist eingerichtet, das Inventar nachlässig gedrechselt und in die Jahre gekommen, und dennoch gut besucht – zu gut, um sich in einer Ecke, von wo aus man den ganzen Raum im Blick hatte, noch einen Platz zu ergattern. Immerhin

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