Rabenflüstern (German Edition)
Gefahr drohe, war er nicht bereit preiszugeben. Er verschwand in seiner Mühle, um wenige Augenblicke später, eine prall gefüllte Tasche unter den Armen, wieder aufzutauchen und wortlos das Weite zu suchen.
Der Krieger zögerte. Was hatte er zu verlieren außer den mehr als lästigen Soldaten an seinen Fersen? Nachdem er sein Pferd bis an die Baumgrenze getrieben hatte, stieg er ab, nahm die Zügel in die eine und Lidunggrimm in die andere Hand. Ein Blick über die Schulter zeigte die Verfolger, die bald die Mühle erreichen würden. Geduckt begab er sich ins Unterholz. Tannenwälder hatten für ihn stets etwas Unheimliches gehabt und er fragte sich, woran das wohl lag. Oder, spann er den Gedanken fort, kam ihm dies gerade jetzt in den Sinn, weil es stets Unbehagen auslöste, eine offen ausgesprochene Warnung in den Wind zu schlagen?
***
Aus den Regentropfen waren feine Hagelkörner geworden, von denen jedoch nur wenige durch das dichte Nadelwerk auf ihn herniederfielen. Obwohl die nasse und kriechende Kälte sich klamm über die Glieder legte, hatte die Kriegskrähe sie bald vergessen. Kraeh war überraschend guter Dinge und wunderte sich darüber. War es allein die Bedrohung, die die Luft nach Freiheit schmecken ließ? Immer wieder schwirrten Bilder der Drudenkönigin in seinem Kopf herum. Er sah ihre anmutig harten Gesichtsausdrücke vor sich, von denen jeder auf einen unerschütterlichen Charakter hinwies. Kraeh, dem selbst so einiges nachgesagt wurde, glaubte zu wissen, dass dieser äußere Schein nicht das einzig Besondere an ihr war – freilich aber einen großen Teil ihrer Anziehung ausmachte. Er konnte unmöglich ernstlich in Gefahr sein, er musste, nein würde sie wiedersehen. Ein Knacken riss ihn plötzlich aus seinen Gedanken und ließ ihn aufblicken. Konzentriert darauf den tief hängenden Ästen auszuweichen und völlig in seine Tagträume versunken, hatte er die rasch aufholenden Verfolger nicht bemerkt. Sie waren so dicht hinter ihm wie nie. Schon hatten sie eine Trichterformation angenommen und Kraeh konnte ihr Hufgetrappel bereits deutlich hinter sich hören. Diesmal würde er ihnen nicht entkommen , frohlockte der Schatten in seinem Rücken.
»Runter!«, rief eine Stimme. Sie war dem Krieger bekannt, aber er vermochte sie nicht sogleich zuzuordnen. Urplötzlich zurück im Hier und Jetzt gehorchte er. Als er vom Pferd gesprungen war und sich rasch flach auf den Boden geworfen hatte, sah er nun auch die Feinde mit ihren grimmig angespannten Mienen unter den Strähnen ihrer herabhängenden Haare deutlich vor sich. Auch sie mussten den Ruf gehört haben, kamen aber dennoch weiter auf ihn zu, wild entschlossen, ihren Auftrag zu Ende zu bringen. Sie waren ebenso fassungslos wie Kraeh, als der vorderste von einem Pfeil in der Kehle niedergestreckt wurde. Doch sie bekamen keine Gelegenheit dazu, sich zu fragen, was da geschah. Denn auf einmal schien der ganze Wald in Bewegung zu geraten. Überall raschelte es. Pfeile und Wurfspeere streckten die Soldaten nieder, ohne dass sie ihrer Gegner mehr als einen Augenblick lang ansichtig wurden. Sie hatten keine Zeit gehabt zu reagieren und schon bald stand nur noch der Schatten. Irgendwie gelang es dem mit Geschossen gespickten Körper, sich aufrecht zu halten. Kraeh war ebenfalls wieder auf den Beinen. Er setzte über einen Leichnam hinweg und stand dann neben der gemarterten Kapuzengestalt.
»Mein Leben ist bedeutungslos«, stieß sie röchelnd aus.
»Welches Leben?«, fragte Kraeh und hieb ihr den Kopf ab.
Sein Pferd war, nachdem es einen Streifschuss erlitten hatte, davongestoben. Seine Retter waren ebenso plötzlich verschwunden, wie sie aufgetaucht waren, und so stand Kraeh auf einmal alleine auf der kleinen Lichtung. Ohne die geringste Aufgeregtheit zu zeigen, lehnte die Kriegskrähe sich an einen Baum und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er machte sich keine Mühe, ein Lächeln zu verkneifen, als nach einer Weile drei Männer zwischen den Stämmen zum Vorschein kamen.
»Sieh an, sieh an«, sprach der mittlere von ihnen. Die anderen beiden fixierten Kraeh misstrauisch, wobei sie ihre Bögen im Anschlag hielten. »Weiße Haare, die Klinge voller Blut … es scheint, die Kriegskrähe höchstpersönlich ist uns ins Netz gegangen.« Auch der Sprecher grinste breit. Sein muskulöser Oberkörper war trotz der Kälte lediglich von einer ärmellosen Weste bedeckt, sein Kopf rundlich und kahl geschoren, die Hauptschlagader
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