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Rabenflüstern (German Edition)

Rabenflüstern (German Edition)

Titel: Rabenflüstern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Schmidt
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im Inneren abspielte, war der Anblick, der sich ihm draußen im roten Schein der Dämmerung bot. Hunderte, Tausende von Zelten waren dort vor seinen Stadtmauern aufgeschlagen worden. So weit das Auge reichte, eine irrwitzige Anhäufung von Kriegsverbänden. Soldaten, Knappen, Stammeskrieger aus den fernsten Regionen des Reiches, selbst Kleinkönige waren samt ihrem Hofstab erschienen und jeden Tag kamen mehr. Bran schauderte. Sie waren wie eine Plage. Alle hatten sie Münder, die gestopft werden wollten, und es war noch nicht einmal Herbst. Schon verunstalteten sie das Umland mit Baracken und Kornspeichern, ganze Viehherden schafften sie heran, um sich auf die kalte Jahreszeit vorzubereiten. Natürlich, sie waren seinem Ruf gefolgt, vielmehr dem, den der Seher ihm eingeflüstert hatte, und er würde sich grausam an denen rächen, die nicht ihren Teil an Speeren schickten. Jetzt aber, da ihm das Ausmaß des logistischen Aufwandes vor Augen geführt wurde, graute es ihm und er wünschte, niemals dergleichen verfügt zu haben. Alle reckten sie ihre Hälse empor zu dem abgedunkelten Zentrum der Macht, von dem aus sie im Frühjahr in den Krieg geschickt würden. Ein Teil in der Brust des Kaisers frohlockte bei dem Gedanken daran, ein anderer wollte nichts lieber als Ruhe und Einsamkeit. Er ertappte sich dabei, die alten Tage zurückzuwünschen, in denen er noch Fürst und unbehelligt von weltpolitischen Machenschaften war. Mit einer wegwerfenden Handbewegung wischte er die Zweifel beiseite. Sein Ehrgeiz hatte ihn hierher gebracht. Die Ehrlichkeit gebot es ihm einzuräumen, dass er sich niemals mit weniger zufriedengegeben hätte. 
    Die Tür zur Halle öffnete sich einen Spalt. Gerade weit genug, um dem schlanken Körper Maets Durchlass zu gewähren. Ihm war die unglückselige Aufgabe zugekommen, Kraeh und die anderen Aufsässigen in Schach zu halten. Seit jeher pflegten die übrigen Reinländer die Söhne Monts zu verachten, die als ebenso feige und niederträchtig galten wie ihr Oberhaupt. Charakterzüge, die Fürst Maet und die ihm Ergebenen stets aufs Neue unter Beweis stellten. Deshalb war gerade ihm diese Bürde auferlegt worden. Es minderte die Gefahr von Überläufern, jedenfalls von solchen, von denen die andere Seite profitiert hätte. 
    Auch an diesem Tag präsentierte der Fürst sich einmal mehr von seiner schlechtesten Seite. Sein kriecherischer Kniefall vor Bran war sogar noch tiefer als sonst. Ohne Zweifel brachte er schlechte Neuigkeiten. Berbasts Beispiel folgend, begab er sich, wenigstens dem Anschein nach die Etikette einhaltend, schleunigst zu Niedswar. Es war immer besser, eine Niederlage aus freien Stücken vorzubringen, ehe man danach gefragt werden konnte. 
    Fast schien es, als würde der Fürst gleich losheulen, wie er unterwürfig vor den Seher trat und, sein aristokratisch bemühtes Lispeln wahrend, seinen Bericht begann. Vierhundert von den ihm unterstellten fünfhundert Soldaten hatte er verloren. Die Weiße Schar, wie man fälschlicherweise die Rebellengruppe unter Kraehs, Lous und Erdens Führung immer noch nannte, hätten ihn gezwungen, seine Speere aufzuteilen. Sein Plan den Widerständlern eine Falle vor Lehmstadt zu stellen sei vereitelt und seine übrigen Einheiten wären in weiteren Scharmützeln aufgerieben worden. Nur dem einzig wahren Gott sei sein Entkommen zu verdanken. »Bei allem Respekt, den Ihr voll und ganz verdient, Hohepriester«, sprach er den Tränen nahe, »Ihr müsst etwas unternehmen! Diese Hunde breiten sich aus wie die Pest. Den ganzen Sommer habe ich sie gejagt und zu stellen versucht, aber sie genießen das Wohlwollen der Bevölkerung in den Bergdörfern. Sie kämpfen nur, wenn sie klar im Vorteil sind. Ansonsten begnügen sie sich mit nächtlichen Überfällen, womit sie Angst in die Herzen meiner Männer säten. Selbst die tapfersten meiner Krieger schworen, Kraeh sei ein Geist!« – Dies klang umso dämlicher, wenn man bedachte, dass Maet jenen Geist persönlich kannte – »An die Pforten der Hölle sei er getreten, wo man ängstlich die Türen schloss und ihn auf die Erde zurücksandte …« 
    Das Lachen Niedswars ließ ihn verstummen. Betreten verlagerte Maet sein Gewicht von einem Bein auf das andere, während der Seher immer noch seiner Belustigung Luft machte. Übergangslos brach das Lachen ab und sein Gesichtsausdruck wurde eisig. »Es ist nicht gut, mich zu enttäuschen«, sagte er in unpassend wirkender Gelassenheit, die seinem Gegenüber noch mehr

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