Rabenflüstern (German Edition)
bestens ausgerüstet, ihr Wille durch die Siege des zu Ende gehenden Jahres gestählt, vor allem würden sie im Gegensatz zu den gegnerischen Truppen wissen, wofür sie kämpften. Natürlich war das nicht alles, was ihn zu der wahnwitzigen Hoffnung ermutigte, sie könnten den Ausgang des Krieges für sich entscheiden. Gorka, Thordrik, Jusuf der Gütige, Pandros, in dessen verbliebenen Ländereien Erkentrud Zuflucht gefunden hatte, und Ferten, der König der Franken, hatten Boten gesandt und ihre Unterstützung zugesichert. Allein von Siebenstreich fehlte jede Nachricht.
Sechs Tage brauchten die beiden, das in einer Senke gelegene Hauptlager zu erreichen.
Bis zu den ersten Schneefällen, die in diesem Jahr spät einsetzten, beschränkten sie sich auf kleinere Überfälle ins Herzland, ansonsten übten sie sich an ihren Waffen. Der Wintereinfall kam zwar verzögert, dafür mit umso größerer Wucht. Von einem Tag auf den anderen lag eine kniehohe Schneeschicht und es war Zeit, die Männer heim zu ihren Familien zu schicken. Einen Mond vor dem Frühjahrsfest sollten sie wieder erscheinen, um in den Krieg zu ziehen.
»Nicht alle werden zurückkommen«, gab Erden zu bedenken, einem, der sich gut im Schildwall bewährt hatte, grimmig die Hand schüttelnd.
»Sie werden kommen«, versuchte Kraeh, ihn zu beruhigen. »Sie wissen, dass sie ihre Familien nicht beschützen können, wenn sie bei ihnen bleiben.«
»Möge der Eine deinen Lenden Kraft spenden«, rief Pielsgar, der sich, dreist, wie er war, neben die Kriegsherren gestellt hatte, dem Mann hinterher. »Unser Gott liebt Kinder!«
Der ehemalige Räuberhauptmann spuckte säuerlich aus. »Da bin ich sogar sicher. Genau wie seine Fürsprecher. Alles Knabenliebhaber, weil sie nicht den Schneid haben, einer erwachsenen Frau auf Augenhöhe zu begegnen.«
Der Priester hatte sich angewöhnt, dergleichen Beleidigungen zu überhören, ebenso wie die Worte Orthans, die er als satanische Versuchungen abtat. Irgendwann hatte der Magier seine Versuche aufgegeben, ihm mit Argumenten beikommen. Den Pfifferling störte es nicht einmal, von dem ungleich Gebildeteren darauf hingewiesen zu werden, kaum etwas über seine eigene Religion zu wissen. Sein Gott war gnädig und gut, dies schien ihm völlig auszureichen. Alles andere leitete er aus den eigenen Interessen und seinen wirr zusammengesetzten moralischen Überzeugungen ab. Das einzige Wunder, das Kraeh bezüglich der neuen Religion ausmachen konnte, war, dass sie, trotz ihrer Schlichtheit und eigentümlichen Betonung der Schwäche, derart viele Menschen zu begeistern vermochte. Sie stellte unzweifelhaft eine Gefahr dar. Ein Mann im Kampf brauchte starke und wilde Götter, die ihn anheizten, ruhmreich zu sterben, und nicht die verweichlichte Lehre, die, wie Pielsgar ständig betonte, dazu anhielt, den Feind zu lieben, anstatt ihn in Stücke zu reißen. Nachdem Lou und Kraeh ihn bei einer passenden Gelegenheit zur Seite genommen hatten und ihm drohten, seine jämmerliche Seele auf der Stelle zu seinem Gott zu schicken, wenn er es wagte, ihre Kämpfer noch einmal zur Mildtätigkeit aufzufordern, hatte er seine Gebote etwas abgewandelt. Plötzlich gab es Zeiten, in denen es Pflicht war, die Guten und Rechtschaffenen notfalls mit dem Schwert zu schützen. Weshalb ihre Drohung überhaupt geholfen hatte, vermochten die beiden nicht einzusehen, immerhin hätte der Priester sich eigentlich freuen müssen, baldmöglichst seinem Schöpfer zu begegnen. Allein, er tat es nicht und es war ihnen auch gleich, was in seinem Strohkopf vorging, solange er sich von nun an zumindest in dieser Hinsicht zurückhielt.
Eine knappe Zweihundertschaft war in dem Winterlager zurückgeblieben. Es lag auf halbem Weg nach Lehmstadt, die bis auf die Grundmauern niedergebrannt worden war. Zu ihnen gesellten sich bald die zuvor in Sicherheit gebrachten Familien. Trotz der Kälte war die Stimmung heiter. Die Jäger, die sich auch bei schlimmster Witterung hinauswagten, wurden bei ihrer Rückkehr freudig mit warmem Met willkommen geheißen. Oft wurde gefeiert und getanzt. Ihre Dienste an den umliegenden Siedlungen garantierte Nahrung und Getränke im Überfluss. Ein jeder genoss sein Leben in vollen Zügen, schließlich war es womöglich die letzte Gelegenheit dazu. Der Frühling schien in unendliche Ferne gerückt, und hätten sich die Druden weniger gut darauf verstanden, eine Empfängnis zu vermeiden, wären sie wohl alle dazu genötigt
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