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Rabenflüstern (German Edition)

Rabenflüstern (German Edition)

Titel: Rabenflüstern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Schmidt
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als die langweilige Arbeit, Pläne für die Unterkünfte der Soldaten zu erstellen und neue Wege zur Nahrungszufuhr zu erwägen, wäre er offensichtlich auf seiner geflügelten Bestie, die jetzt irgendwo in den Wäldern hausen musste, ausgeflogen, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Aber er gab sich loyal. Außerdem stellte sich ein gewisser Wettbewerb zwischen ihm und Wintar ein, die sich als geschickte Strategin erwies. Ihr Interesse am leiblichen Wohlergehen der Soldaten wirkte zuweilen beinahe fanatisch. Bran erschrak bei dem Gedanken, in ihr eine neue Generation von Wolf zu sehen. Einer, der die Lämmer mästet, bevor er sie reißt. Die Reihen jener, denen er vertrauen konnte, waren dünn gesät und so richtete er Trinkgelage aus, besprach sich, sooft es ging, mit seinen Hauptleuten und zeigte sich insgesamt als gütiger und volksnaher Herrscher. Doch bei all der Mühe, die er sich gab, autoritär aufzutreten, bei all dem Schein der Würde, den er bei den verschiedenen Anlässen aufrechtzuerhalten versuchte, nagten Zweifel an seiner kaiserlichen Seele. Selbst in Niedswars Abwesenheit endete sein Einflussbereich an den Treppen, die sich tief in das Erdreich unter seiner Festung schlängelten. Und was war mit Kraeh, Siebenstreich und Erkentrud? Konnte er es ihnen verübeln, ihn als Feind zu betrachten? Schließlich wusste er selbst nicht, mit welchen Mächten er da eigentlich im Bunde war. Womit beschäftigte sich Wintar, wenn sie morgens hinabstieg? Was brüteten die Priester in ihrem neu errichteten Tempel aus, dessen Bau die Staatskasse unangenehm geschröpft hatte? Ihm war lediglich bekannt, dass sie eine alte Schrift studierten, die aus den Trümmern von Skaarbrok geborgen worden war. Immer wenn ihm dergleichen in den Sinn kam, berührte er das Amulett jenes Gottes, zu dem seine Altvorderen gebetet hatten und das er heimlich unter seiner Tunika trug. »Mögen die Asen mir beistehen«, formten seine Lippen dann oft tonlos und er schritt weiter auf dem düsteren Pfad, der ihm durch die Schicksalsgöttinnen beschieden war. 
     
    *** 
     
    Goldbraune Blätter, die Schlieren, die die häufigen windgepeitschten Regenschauer in der diesigen Luft hinterlassen, die feuchte Erde, die sich ein letztes Mal aufbäumt, ehe der lange Schlaf kommt – ja, der Herbst ist das Fest, auf das sich Raben und Krähen das restliche Jahr freuen. 
    Kraeh und Henfir standen auf der Kuppe einer Erhebung, von der aus sie das weite Feld um Triberkh überschauen konnten. Als ahnten die Aasfresser, was sich hier ereignen würde, flogen sie in großen Schwärmen über die leicht nach Süden hin abfallende Ebene. Immerfort nutzten sie den steinernen Trümmerhaufen, der den kümmerlichen Rest des einstigen Königssitzes ausmachte, als Rastplatz, um sogleich wieder die schwarzen Schwingen auszubreiten und ihren Artgenossen in die Lüfte zu folgen. 
    Manche behaupteten, die Zeit sei ein Kreis, andere, wie der nervtötende Priester, der sich ihnen angeschlossen hatte, meinten, alles ende mit dem Kommen irgendeines Messias, und nach der alten Religion bewegten sie sich unausweichlich auf Ragnarök zu, den Krieg der Götter – auch für Kraeh war klar, dass sein Leben einem bestimmten Punkt entgegensteuerte. Eben hier, an diesem Ort, würde die Entscheidung fallen. 
    »Genug gesehen?«, fragte der Bogenschütze, der trotz seiner Otterweste fröstelte. 
    »Aye, machen wir uns auf den Rückweg.« 
    Obwohl sie die Ausläufer der Gebirge fest in der Hand hatten, die Städte und Dörfer ihnen treu ergeben waren, hatte es ein Wagnis dargestellt herzukommen. Erdens Spione hatten von dem Ruf Brans berichtet, der jeden seiner Vasallen aufgefordert hatte, alle Männer, die ein Schwert halten konnten, nach Brisak zu schicken. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, diesen Platz im Vorhinein zu besetzen, schließlich war es immer von Vorteil, den zukünftigen Kampfplatz zu halten. Aber offensichtlich hatten weder er noch Niedswar dergleichen verfügt. Sie mussten sich sehr sicher fühlen, dachte Kraeh, als er neben dem Freund zurück zu den Pferden lief. Und warum auch nicht? Die Zahl der feindlichen Speere wurde auf über zehntausend geschätzt. Noch nie hatte die Welt eine so große Armee gesehen. Was kümmerten sie da die paar Haudegen, die sich in den Wäldern versteckten? 
    Die Kriegskrähe lächelte, indem sie sich auf den Rücken des Reittiers schwang. Wie schnell können Zahlen in einem Kampf ihre Bedeutung verlieren. Seine achthundert Mann waren

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