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Rabenflüstern (German Edition)

Rabenflüstern (German Edition)

Titel: Rabenflüstern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Schmidt
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nicht den Grund berühren; doch das diesseitige Ufer entfernte sich rasch – und an Umkehr war nicht mehr zu denken. 
    Geräuschlos teilte das Boot die roten Fluten, die nun nur noch sehr schwach glühten. Im Licht der Laterne waren drei Schwäne in schwarzem Gefieder zu erkennen. Unwillkürlich kam ihm Skaarbroks Banner in den Sinn. Als sie näher an sie heranfuhren, bemerkte er schaudernd, dass jeder von ihnen zwei Köpfe hatte. Abgesehen von dieser unheimlichen Begegnung, geschah während der überraschend kurzweiligen Überfahrt nichts. Schließlich erreichten sie einen schlichten Steg, der als Anlegestelle diente. Kraeh stand auf, erleichtert darüber, bald die beklemmende Gesellschaft des Fährmanns hinter sich lassen zu können. Dieser streckte ihm erneut die Hand entgegen. Er versperrte ihm nicht den Weg, aber Kraeh wusste instinktiv, dass er nun bezahlen musste. Die bedrohliche Gestalt nahm den Beutel mit den restlichen Münzen entgegen und verstaute ihn ohne den Inhalt zu überprüfen irgendwo unter seinem Gewand. Das Nicken unter der Kapuze war für den Krieger kaum auszumachen. Er stand schon mit einem Bein auf dem Steg, da tippte ihm ein Zeigefinger auf die Schulter. Kraeh fuhr zusammen und sah seinem Gegenüber direkt in die leeren Augenhöhlen, unter denen sich blau angelaufene Lippen zu einem sardonischen Lächeln verzogen. Es verhieß nichts Gutes und Kraeh war drauf und dran, sich durch einen Sprung ans Ufer in Sicherheit zu bringen, als er verstand, worauf der Fährmann anspielte. Genüsslich langsam drehte dieser eine Sanduhr um. Eine Stimme, die nicht zu der Gestalt passen wollte, intonierte feminin und kalt wie die windstille Winterluft: »Eile! Deine Zeit verrinnt bereits.« Kraeh warf einen fahrigen Blick auf die beunruhigend schnell rieselnden Sandkörner und hastete los. 
    Beinahe enttäuscht darüber, dass es so einfach war, den Totenfluss zu überqueren, fand er sich nach einigen Schritten in einem schlichten Dorf wieder. Ohne genau zu wissen, was er erwartet hatte, erschienen ihm das Wirtshaus zur Rechten, der gammlige, verlassene Marktplatz im Zentrum, die Baracken und einfachen Häuser zur Linken, selbst jenes offenkundige Freudenhaus, vor dem eine spärlich bekleidete Frau lasziv flanierte, wenig eindrucksvoll. An einem Stand auf dem Marktplatz, wo vergorene Früchte vor sich hin schimmelten, blieb er stehen. Und plötzlich sah er es vor sich, fraglos das Ziel dieser ganzen Unternehmung. Direkt vor seinen Augen lag der Eingang zu einer Höhle. Die Wurzeln einer Esche, die auf einer leichten Erderhöhung weit in den Nachthimmel ragte, bildeten deren Tor. Die Geschichten seines Ziehvaters über Yggdrasil, der Weltenesche, huschten durch seinen Kopf. Die Ausmaße des Baumes waren nicht ganz so enorm, wie er sie sich als Knabe ausgemalt hatte, doch ging von ihm eine Aura unvorstellbaren Alters, Weisheit und Schicksalshaftigkeit aus. Dort, in dem Schlund, der alle Farben in nichts auflöste, würde er finden, wonach er suchte. 
    Schon wollte er darauf zugehen, als ihm die Worte Siebenstreichs über all jene, die an dieser Aufgabe gescheitert waren, einfielen. Er hatte von Rittern und von Zielstrebigkeit gesprochen. Resümierend und nervös, ob der nicht allzu schwer auszulegenden Bedeutung des Stundenglases, hielt er inne. Allein das Wort Ritter ließ ihn an Zeiten denken, in denen der Eingottglaube, dem sich die Ritterorden damals schon verschrieben hatten, wegen seiner anfänglichen Zurückhaltung noch nicht verpönt gewesen war. Die Bretonen, die er in Skarbrook kennengelernt hatte, passten kaum in dieses Schema, aber damals, spann er den Faden seiner Erinnerung weiter, herrschten Auffassungen von Schuld und Sündhaftigkeit, die ihm in seinem Heranwachsen fremd geblieben waren. Eine Geringschätzung allen Irdischen, brachte er noch zusammen, war die Folge. Eine Ablehnung gegen beinahe alles, was Freude und Lust bereitete … Würde er nun entgegengesetzt zu dem, wie seine Vorgänger wahrscheinlich vorgegangen waren, handeln, vergrößerte er doch gewiss seine Aussichten auf Erfolg. Aber die Sandkörnchen … Zum ersten Mal spürte Kraeh einen Anflug von wahrer Angst. Nicht jene, die man im Kampf förderlich einsetzen konnte, auch nicht solch kurzweiliges Entsetzen, wie sie der Pilzgenuss hervorgerufen hatte, dessen Wirkung er für beinahe vollständig verflogen erachtete, sondern die reine, jede Entscheidung lähmende Angst davor, ewig in dieser Welt gefangen zu sein und sich selbst

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