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Rabenflüstern (German Edition)

Rabenflüstern (German Edition)

Titel: Rabenflüstern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Schmidt
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vergessend, ohne Sinn und Erinnerung, für alle Zeiten an den Ufern entlangzuirren, wie jene armen Gestalten, denen er vergangene Nacht begegnet war. Es kostete Kraeh größte Anstrengung und Disziplin, diese aufsteigende Angst abzuschütteln. Schließlich gelang es ihm fast vollständig. Ein Hauch davon ließ sich jedoch nicht ganz vertreiben, denn etwas davon hatte sich bereits tief in einem verborgenen Winkel seiner Seele festgesetzt. 
    Betont gemächlich schlenderte er zu der Schenke. Kein Schild wies darauf hin, dass das Gebäude eine solche war, allein das flackernde Licht, das die Schemen von Zechenden an die getrübten Fenster warf, sprach eine eindeutige Sprache. Als er den großflächigen Schankraum betrat, schenkte ihm niemand besondere Beachtung. Merkwürdiges Volk saß hier an in die Jahre gekommenen Tischen und Bänken beieinander. Ale und Schimmelgeruch schlugen ihm entgegen. Ohne die Trinkenden einer genaueren Betrachtung zu unterziehen, lief Kraeh schnurstracks zur Theke, machte den Wirt, einen vollbärtigen, breiten Gesellen, dessen Nasenflügel dunkelrot wie getrocknetes Blut waren, auf sich aufmerksam und bestellte einen Humpen Starkbier, das offensichtlich alle Gäste hier tranken. Ärgerlich fiel ihm auf, dass er seine Pfeife, ein Geschenk Heilwigs, bei dem kleinen Pilzgärtner liegen gelassen hatte. 
    »Nimm die hier«, ertönte eine kehlige Stimme neben ihm. Der Mann war in Lumpen gehüllt, um seine zynischen Lippen, die eine Hasenscharte verunzierte, sprossen Barthaare, die sich zu einem verwahrlosten Schnurrbart zusammenfügten. Seine Koteletten waren von grauen Schlieren durchzogen und schon, wie er sich neben Kraeh bugsiert hatte, war diesem aufgefallen, dass sein linkes Bein bis zur Hüfte durch einen kerbenreichen Holzstab ersetzt worden war. Das einzig Angenehme an ihm war die geschwungene Pfeife, die er dem Krieger entgegenhielt. 
    »Habt Dank.« Sie war fertig gestopft; der Krüppel ging in seiner Freundlichkeit noch einen Schritt weiter und entzündete sie geschwind. Woher die Flamme kam, blieb Kraeh ein Rätsel. 
    »Ein fremdes Gesicht ist an diesem Ort mehr als selten. Wer bist du?« Einen Blick auf die über die Schulter ragenden Schwertgriffe werfend, fügte er hinzu: »Ein Krieger?« 
    Kraeh stellte sich vor und berichtete im gleichen Atemzug ohne Umschweife über den Grund seines Aufenthalts. 
    »Soso«, machte der Mann, der alles in allem einen so wenig erfreulichen Anblick bot. Wie Kraeh sich jetzt doch genauer umsah, erkannte er, dass fast alle in der Schenke Versammelten in irgendeiner Weise beeinträchtigt waren. Einige trugen Augenklappen, vielen fehlten Gliedmaßen, einer entbehrte sogar beider Hände, still vor sich hin sabbernd saß er da, während sein Tischnachbar ihm gelegentlich einen Humpen an den Mund führte. Ein sinnloses Unterfangen, da ihm mehr als die Hälfte der Flüssigkeit am Hals runtertroff. 
    Der Mann neben Kraeh lachte kurz auf. »Ja … diese Taverna hat schon bessere Zeiten gesehen. Ebenso wie ihre Gäste.« Er kratzte sich am Kinn und überlegte wohl, wie offen er mit dem Neuankömmling sprechen sollte. Frei heraus sagte er schließlich: »Er hier zum Beispiel«, und wies dabei auf einen greisen Mann, dessen speckige Haare nur noch einen traurigen Abklatsch der einstmals wohl goldgelbem Lockenpracht darstellten, »war einst der Bote der Götter.« 
    Kraeh runzelte die Stirn, sein Gesprächspartner war offenbar übergeschnappt. Dennoch unterzog er den Alten aus Höflichkeit einer eingehenden Betrachtung. Er hatte nichts besonders Einnehmendes an sich, war heruntergekommen wie der Rest. Doch was war das? An seinen bloßen Fersen hingen vertrocknete Federn, winzigen Flügelchen gleich. 
    »Und sie, dort in der Ecke; sie ist das Eheweib eines Göttervaters.« Da Kraehs Augen auf ihr ruhten, keifte sie etwas Unverständliches in seine Richtung und raufte sich, vermutlich weil er nicht reagierte, frenetisch das Schuppen streuende Haar. 
    »Mach dir nichts draus, sie ist wahrscheinlich wütend auf ihren Gatten, er treibt sich fast den ganzen Tag im Hurenhaus herum.« Wieder entfuhr ihm ein Lachen. »Und das, obwohl er schon seit Jahrhunderten keinen mehr hochbekommt.« 
    Der Krieger schauderte und nahm einen kräftigen Schluck. Verrückt oder nicht, sein Gegenüber lieferte eine gute Erklärung für die triste Stimmung dieses Ortes. Obwohl er nicht sonderlich überzeugt von der Geschichte war, fragte er: »Wie kam es zu diesem …

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