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Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Titel: Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Kammer
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bis Kellesang. Dann bekommst du die ganzen Fünfzig. In Ordnung?“
    „ Das sind zwei Tage zu viel.“
    „ Vierzig bis Retna.“
    „ Ein Tag zu viel. Aber na gut.“
    Elsa dankte dem Schiffer stumm. Also nur noch ein Tag. Der Tag zog sich. Abends bekam Elsa einen halb rohen Fisch.
    „ Das soll ich essen? Wird man davon nicht krank?“
    „ Das gibt‘s hier jeden Tag. Bin noch nie krank geworden.“
    „ Aber blind bist du!“, rief Elsa und aß den Fisch trotzdem.
    Als der Stern wieder im Dreieck erschien, legte sie sich auf dem schmutzigen Boden schlafen. Sie hoffte, dass Retna etwas Gutes bringen würde.
     
    Im Laufe des nächsten Morgens wurde die Tür geöffnet. Das Tageslicht blendete.
    „ Komm raus! Wir steigen aus.“
    Es war der Mann, der sie am Strick aufs Schiff geführt hatte. Wieder band er sie fest und zog noch unnachgiebiger als beim letzten Mal. Der Fette war weg. Zwei Männer und der Blinde führten sie durch Retna, eine hübsche kleine Stadt mit Häusern aus weißem Holz und blau angemalten Steinen. Elsa wünschte, die Stadt wäre weniger hübsch gewesen, dann wäre sie auch weniger aufgefallen, so stinkend, verwahrlost und gefangen, wie sie war. Man musste sie für eine Verbrecherin halten. Viele Leute schauten ihr nach, als sei sie der unsichtbare Bolhin, der gerade sein Essen verspeiste.
    „ Bald weiß jeder, dass wir hier sind“, sagte der mit dem Strick.
    „ Ach was, die denken, sie ist verrückt. Retna ist ein Dorf.“
    „ Toll, und was machen wir jetzt?“
    „ Wenn wir nicht nach Pönza kommen, dann muss Pönza zu uns kommen.“
    Sie mieteten ein Zimmer, in dem Elsa eingesperrt wurde. Der Blinde sollte vor der Tür Wache halten. Elsa konnte sich waschen und ihre Kleider notdürftig putzen, worüber sie froh war, obwohl sie zu Hause nie die Reinlichste gewesen war. Sie entknotete ihre langen, schwarzen Haare mit den Fingern, flocht sie zu einem Zopf und band ihn mit der Kordel eines Vorhangs zusammen. Dann untersuchte sie das Fenster. Es war klein, doch vielleicht konnte sie sich hindurchquetschen. Die Frage war nur: Wie kam sie vom zweiten Stock nach unten auf die Erde? Wenn sie sprang, würde sie sich den Hals brechen. Oder beide Beine. Sie kannte Geschichten, in denen Betttücher zusammengeknotet wurden. Zweifelnd betrachtete sie das brüchige Leinen. Nein, das wäre ja lebensgefährlich. Sie zog sich einen Stuhl ans Fenster, nahm ‚Bolhins Reisen’ heraus und schlug es auf. Doch sie konnte jetzt nicht lesen. Sie steckte das Buch wieder weg und stieg auf den Stuhl, um die Vorhänge abzunehmen.
    Als sie dort stand und an dem Vorhang herumzerrte, merkte sie auf einmal, dass sie nicht alleine war. Jemand saß auf ihrem Bett, als ob er hier zu Hause wäre. Es war der Dichter mit den schmutzigen Fingernägeln.
    „ Sie ...“, begann Elsa, immer noch auf dem Stuhl stehend, „ … sind Sie der Rabe?“
    „ Ich war mal ein Rabe, glaube ich. Andere Menschen kann ich deutlicher erkennen als mich selbst. Sehe ich denn wie ein Rabe aus?“
    Elsa hob die Schultern. „Nein, eher nicht. Jedenfalls nicht wie der Vogel.“
    Der Mann, der vielleicht einmal ein Rabe gewesen war, stand auf und kam ans Fenster. „Was machst du da?“, wollte er wissen.
    „ Ausbrechen.“
    „ Woraus?“
    „ Ich bin eingesperrt, sehen Sie das nicht? Ich will nach Hause zurück, nach Istland! Wissen Sie, wie ich dorthin komme?“
    „ Solche wie du kommen selten nach Hause zurück. Womöglich verschwindet dein Zuhause, bevor du es erreichen kannst. Einfach so!“
    Er fuhr mit der Hand durch die Luft.
    „ Solche was? Was bin ich denn?“
    „ Eine Gestrandete. Stets strandend, nie ankommend. Sieh mich an! Was mache ich hier? Ich weiß es selbst nicht. “
    Elsa hörte, wie jemand die Treppe heraufkam. Der Blinde vor der Tür sagte:
    „ Nichts gewesen, alles war ruhig.“
    Der Schlüssel wurde im Schloss gedreht und gleichzeitig löste sich der Mann, der vielleicht einmal ein Rabe gewesen war, in Luft auf. Elsa beobachtete es atemlos, doch noch bevor die Tür aufging, sprang sie vom Stuhl und versteckte sich zwischen Tür und Schrank.
    „ Ich will nicht, dass unsere Überraschung davonfliegt“, sagte einer der Männer, die hereinkamen. „Wir binden sie lieber fest.“
    Elsa drückte sich in ihrem Versteck gegen die Wand, in der Gewissheit, dass man sie gleich finden und fesseln würde. Ihr ganzer Körper kribbelte. Vor Angst, dachte sie. Es fühlte sich ungeheuerlich an, ein Kitzeln und Zittern, das alles,

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