Rabenschwarz
»Was will man von dir erpressen und vor allem: Mit welchen Mitteln will man dir etwas abknöpfen? Hat man etwa eine Geisel?«
In demselben Augenblick, in dem er die Worte ausgesprochen hatte, dämmerte ihm plötzlich, was seine Tante hier ganz dicht an den Rand eines Nervenzusammenbruchs trieb. Unsicher blickte er sich im Wohnzimmer um. Er hatte schon vor der Haustüre gespürt, dass etwas nicht so war, wie es sein sollte oder vielmehr, wie es sonst immer gewesen war. Kein hektisches Hecheln, kein feindseliges Knurren bei seiner Ankunft. Keine hinterlistigen Bissattacken oder heimtückischen Überraschungsangriffe. Oder konnte es sein, dass Bärbelchen, das ondulierte Pudelmistvieh, nur irgendwo im Hinterhalt lauerte, um im richtigen Moment seinem Erzfeind Herbie Feldmann die kleinen, spitzen Hauer in die Wade zu schlagen? Das wäre nicht einmal ungewöhnlich.
Er sah zu seiner Tante hinüber, die sich die Augenwinkel trocken tupfte und fortwährend »Mein Liebling, mein armes, armes kleines Mädelchen« vor sich hinmurmelte. Kein Zweifel: Der Hund war weg!
Er zwang sich krampfhaft, Ansätze eines Strahlens oder den Hauch eines seligen Lächelns im Zaum zu halten.
Wäre ich nicht pausenlos an deiner Seite, würde ich argwöhnen, dass du hinter alldem steckst. Wenn irgendjemand die Schlechtigkeit besitzt, ein unschuldiges, zartes Schoßhündchen seinem treusorgenden Frauchen zu entreißen, dann doch wohl du! Julius schickte ein säuerliches Grinsen durch seinen grauen Bart, wohl wissend, dass es sich bei Bärbelchen keineswegs um ein bedauernswertes Hundefräulein, sondern vielmehr um die personifizierte Arglist und Boshaftigkeit im Hundepelz handelte.
»Man hat das kleine, dumme Ding entführt.« Tante Hetti trank erneut und begann, stockend zu erzählen. »Es war gestern Abend, im Hotel Eifelhöhe , du weißt schon, das bei Buchscheid, das, in dem ich damals meine Leute zum Fünfundsiebzigsten untergebracht hatte. Nebenbei bemerkt, das einzig akzeptable Haus weit und breit, wenn auch ein wenig abgelegen. Nun, auf jeden Fall hatte mich Hiltrud gestern Abend zur Vernissage von irgendeinem dieser seltsamen Künstler mitgenommen, der seine Werke dort im Foyer des Veranstaltungssaales ausstellt. Es war kurz nach neun, wir wollten gerade wieder los, weil Hiltruds neuer Verehrer, dieser unsägliche Dr. Rogge, ein wirklich extrem anstrengender Emporkömmling, uns noch in irgendein zweitklassiges Lokal an der Ahr einladen wollte, da ist plötzlich der Hund weg! Ich kann dir sagen ... wir haben alles abgesucht. Mithilfe des Hotelpersonals haben wir zweieinhalb Stunden das ganze Gelände durchkämmt und haben nichts gefunden! Kannst du dir vorstellen, wie ich mich fühle?« Sie schluchzte laut auf und schnäuzte vehement und ganz und gar undamenhaft in ein zartes Taschentuch. »Und heute Morgen das!« Herbie hatte Mühe, das Blatt Papier aus ihrer heftig zitternden Hand zu erhaschen.
»Ihrem Hund geht es gut ...«, las er laut vor.
Sie ist mit dem Inhalt vertraut, brummte Julius.
Stumm las Herbie weiter: »Wenn Sie ihn gesund wiedersehen wollen, dann lassen Sie uns 20.000 DM zukommen! Weitere Anweisungen folgen.« Die Buchstaben waren klischeehaft aus Zeitungslettem zusammengepuzzelt, und der folgende Zusatz »Keine Polizei!« las sich wie eine launige Reminiszenz an Hunderte von Erpressungsnummern aus Film und Literatur.
Herbie starrte auf das Haarbüschel. »Türkis«, murmelte er gedankenverloren. »Als Bärbelchen mich das letzte Mal gebiss... als ich sie zum letzten Mal gesehen habe, da war sie doch noch pinkfarben oder rosa oder malve oder wie immer man das bezeichnen mag.«
»Wir haben eine Typberatung mitgemacht. Bei einem ganz neuen, tollen Hundecoiffeur in Düsseldorf. Er fand heraus, dass Bärbelchen eher der kühle Typ sei und nicht der Kuscheltyp.«
Was du am eigenen Leibe erfahren durftest .
»Er meinte, wir sollten auf mint und türkis und lindfarben umsteigen. Körbchen, Decke, Schleifchen und Halsband, alles hat er darauf abgestimmt. Und jetzt ...« Erneut schüttelte sie ein konvulsivisches Schluchzen.
»Willst du das Geld bezahlen?«
»Natürlich!«, rief sie mit dem Brustton der Überzeugung. »Das und noch mehr, wenn es meinen armen, armen Liebling retten kann!«
»Dann drücke ich dir natürlich ganz fest die Daumen!«
Sie erhob sich ruckartig und nahm den reich verzierten Krückenknauf fest in die Linke, während ihre Rechte beschwörend das grün schillernde Likörglas erhob.
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