Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)
schämen müssen. Die kennen mich hier alle.«
Sie kicherte und er kicherte auch, stand auf, marschierte an den Reihen der Bilder entlang, verharrte vor den Objekten, die er allesamt misslungen fand, und überlegte, ob Kristin das genauso sah. Möglich wäre es, dachte er, aber wenn, dann würde sie es nie zugeben.
»Sind scheiße, oder, diese Dinger«, sagte sie, als er zu ihr an die Bar zurückkam. »Die verarschen uns doch alle!«
Er staunte und sie lachte, gluckste und kiekste, was ihn noch mehr erheiterte, und schließlich sagte sie: »Komm, lass uns zu mir gehen. Ich habe eine schöne Wohnung, die will ich dir zeigen.« Sie lächelte und drehte sich eine Haarlocke um den Finger.
»Ah«, sagte er, »eine schöne Wohnung. Ja, die würde ich wirklich gerne sehen.«
Auf dem Weg wurde sie ernst, sie schaute ihn an aus blauen Augen, die tatsächlich eine gewisse Tiefe hatten, und schob ihre Hand in seine.
In der Wohnung tranken sie weiter, sie öffnete eine Dose Kaviar, sie löffelten ihn als Beilage zum Gin und irgendwann leckte er die schwarzen Dinger aus ihrem Bauchnabel.
Sie schliefen miteinander und sie schmeckte, wie sie zu sein schien, nüchtern, sachlich, ein wenig wie das blaue Papier aus der Verwaltung, ein bisschen wie ein Tausend-Euro-Schein, aber auch ein Tausend-Euro-Schein war für etwas gut, das konnte man wirklich nicht abstreiten.
Danach lagen sie still nebeneinander und irgendwann sagte sie leise: »Du bist süß. Wirklich. Ich habe schon lange ein Auge auf dich geworfen.«
In den nächsten Wochen zog sie ein bisschen bei ihm ein, sie mochte seine Wohnung, die etwas Chaotisches hatte, etwas Unfertiges, hatte Freude daran, Frühstück zu machen oder manchmal abends etwas zu kochen. Bis er, Tonio, dann alles verbockte.
Kristin, dachte er, Kristin, Kristin, Kristin, und wälzte sich hin und her auf seiner Matratze. Soll ich dich anrufen? Dir alles erzählen? Von der Wohnung, von all den Dingen, die ich gefunden habe, von dieser schrecklichen Sache, die passiert ist?
Vielleicht konnte sie ihm helfen, vielleicht wusste sie einen Plan in ihrem juristisch klaren Hirn, wie er da rauskam, wie man alles ein wenig geradebiegen konnte.
Er schaute auf die Uhr, es war drei Uhr nachts, kein guter Zeitpunkt für einen Hilferuf, noch dazu von einem, der sich benommen hatte wie ein Riesenarschloch. Wahrscheinlich hatte sie schon längst ein Auge auf jemand anderen geworfen, auf den Oberarzt der Chirurgie beispielsweise oder den Geschäftsführer des Supermarkts an der Ecke, der ihr so gerne auf den in Seide verpackten Hintern starrte.
Er dachte an ihre taffen Businesskostümchen und die scharfen Teile, die sie gern darunter trug. Die Erinnerung daran fuhr ihm in Hirn und Lenden, er stöhnte auf und rubbelte sich Erlösung ab. Endlich schlief er ein.
20 Sie suchten. Wussten nicht genau, wonach. »Rotes Haar«, hatte es geheißen, »vielleicht findet ihr ein rotes Haar, was auch immer, eine weibliche genetische Spur auf alle Fälle, die weder von Gertrud noch von ihrer Tochter noch von ihrer Mutter stammt.«
Also suchten sie. Die Stecknadel im Heuhaufen. »Konzentriert euch vorwiegend auf die Küche, auf den Tatort. Aber nicht nur. Sie könnte überall im Haus gewesen sein. Das wissen wir eben nicht.«
Also suchten sie. Ein bisschen fluchend. Ein bisschen demotiviert. Wie sollte man eine Stecknadel in einem Heuhaufen wie diesem finden?
Schwierig. Zeitintensiv. Anstrengend. Aber das waren sie ja gewohnt. Und dann fanden sie sie. Die Stecknadel. Auf einem Kopfkissen. Im Ehebett. Ein rotes Haar. Tatsächlich ein rotes Haar. Sie war also hier gewesen. Hanna Umlauf. In Gertruds Haus. In Gertruds Bett.
21 Ich bin dort gewesen. Ja, ich bin dort gewesen, und als sie da stand in ihrem Haus, das nach Zwetschgen roch, als sie mich mit diesen erschrockenen Augen anschaute, die ich sofort wiedererkannte, als sie da stand, hab ich sie erneut geliebt. Wie damals.
Wir setzten uns in ihre Küche, die vorletzten Zwetschgen abgeerntet vom großen Baum in ihrem Garten. Es gab so viel zu reden.
22 »O.k.«, sagte Herz, »Zweiter Tag. Stand der Dinge. Machen wir eine erste Bestandsaufnahme.«
Rund um den Tisch im Besprechungsraum saßen alle Ermittler, die mit dem Fall, oder besser den Fällen, befasst waren, nämlich Franza, Arthur und Hansen von der Vermisstenstelle. Außerdem hatte Borger, der Gerichtsmediziner, Platz genommen und ihm gegenüber der Staatsanwalt Dr. Brückl. Am Kopfende des Tisches saß Felix, stand
Weitere Kostenlose Bücher