Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)
Bis bald! Bis nach dem Urlaub!«
Sie winkte, überquerte die Straße zu ihrem Auto. Einem plötzlichen Impuls folgend, lief Renate ihr hinterher. »Gertrud! Warte! Lass dich umarmen! Und dir einen schönen Urlaub wünschen!«
Sie lachten und Renate legte die Arme um sie. Sie fühlte sich gut an, weich und griffig, und ihren braunen Haaren entstieg der Duft eines würzigen Shampoos.
Dann war sie weg. Renate stand noch einen Augenblick da und dachte an Griechenland, an Kos, das Meer, den schwarzen Sand. Sie hatte erneut geseufzt, kurz die Augen geschlossen und war zurück ins Café gegangen, wo mittlerweile die ersten Gäste saßen.
Und nun?
Was war hier los?
Keine Woche vergangen, sie überschlug rasch im Kopf, nein, gerade mal ein paar Tage, und die Leute da drüben – nicht Christian oder Lilli oder Gertruds Eltern und schon gar nicht Gertrud selbst.
Na gut, dachte Renate, strich sich durch ihren schwarzen Kurzhaarschnitt und machte sich spontan auf den Weg über die Straße zum Töpferladen.
»Sagen Sie mal, was machen Sie hier eigentlich?«, fragte sie ein bisschen entrüstet, als sie sah, dass der Ladentisch voll mit Papieren, Katalogen und Unterlagen war, die die Männer offensichtlich aus irgendwelchen Schränken geholt hatten. »Wer sind Sie? Ich rufe jetzt auf der Stelle die Polizei!«
Sie griff nach dem Handy. Die Männer, vier an der Zahl, waren aufmerksam geworden. Einer von ihnen kam auf sie zu. Er wirkte jung, dynamisch, eigentlich recht sympathisch, trotzdem wich sie ein paar Schritte zurück. Er hob die Arme. »Schon gut, schon gut, keine Angst. Sie müssen die Polizei nicht rufen. Wir sind die Polizei. Und Sie sind?«
Sie erstarrte. Polizei? Was war hier los? Was war hier geschehen?
Langsam nur gewann sie ihren kühlen Kopf zurück. »Können Sie sich ausweisen?«
»Selbstverständlich«, sagte der junge Mann und holte seinen Ausweis aus der Tasche. »Entschuldigen Sie.«
Arthur Peterson stand da, aber sofort vergaß sie den Namen wieder, denn etwas anderes stand im Raum, etwas viel Wichtigeres und, das wurde ihr langsam klar, etwas Schreckliches.
»Was ist passiert?«, fragte sie. »Sagen Sie mir, was passiert ist. Mit Gertrud?«
»Kannten Sie sie? Waren Sie eine Freundin?«
»Eine Freundin? Ja. Doch. Irgendwie.«
Sie dachte an die Einladung nach Griechenland. »Wir arbeiten quasi nebeneinander. Sie hier und ich drüben im Café.«
Sie wandte sich um, deutete auf das Lokal gegenüber und in diesem Augenblick fiel es ihr auf. Dass er in der Vergangenheitsform gesprochen hatte.
Später saßen sie an einem der Tische im Freien. Sie hatte Arthur einen Kaffee hingestellt und sich selber einen Schnaps. An dem nippte sie nun, und wenn Gäste kamen, sagte sie: »Wir haben geschlossen. Trauerfall!«
Sie dachte an Gertrud und dass sie in den letzten Jahren kaum Kontakt gehabt hatten, erst seit ein paar Wochen wieder, seit diesen letzten paar Wochen, weiß der Teufel, warum.
Was, dachte sie, wäre geschehen, wenn ich ja gesagt hätte zu Griechenland, und das gleich und auf der Stelle. Wenn ich am nächsten Tag das Café geschlossen, die Kaffeemaschine stillgelegt und Vasco für ein paar Tage allein gelassen hätte. Wenn ich Gertrud auf der Stelle gepackt hätte und wir die nächste passende Maschine genommen hätten? Wäre sie ihrem Mörder dadurch entkommen?
Renate seufzte und wischte die Tränen ab, die unablässig liefen. Wer weiß, dachte sie, wer weiß, vielleicht wäre sie dort im schwarzen Sand ertrunken.
»Ich wollte die neuen Tassen bei ihr bestellen«, sagte sie plötzlich und hob ihre Tasse hoch. »Die alten sind schon voller Sprünge. Wo krieg ich jetzt die neuen her?«
Ja, dachte Arthur, wieder dieses Phänomen. Immer sind es die kleinen Dinge, die zuerst fehlen. Der letzte schon geplante Ausflug, der nicht mehr zustande kam. Die Tassen, die jetzt in einer anderen Töpferei angefertigt werden müssen. Der Blumentopf, den man kaputtgemacht und für den man sich noch nicht entschuldigt hat.
Arthur war noch nicht lange bei der Truppe, erst gute zwei Jahre, aber das war ihm rasch aufgefallen. Die Schmerzen, wenn sie kamen, fingen mit den kleinen Dingen an. Ob dadurch alles fassbarer wurde?
»Sie werden eine Lösung finden«, sagte er, »da bin ich mir sicher.«
»Ja«, sagte sie. »Vermutlich haben Sie recht. Wie unsinnig, von diesen Kleinigkeiten zu reden.«
Sie legte kurz die Hände auf ihre Augen. Und der junge Mann fiel ihr wieder ein. Der zwei Tage hintereinander hier
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