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Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Titel: Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Kreslehner
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danach zu fragen. Nicht Gertrud, nicht Hanna. Vielleicht hat sie es gewusst, es geahnt. Vielleicht nicht. Vielleicht erwiderte sie dieses Gefühl sogar auf irgendeine Weise. Vielleicht nicht. Vielleicht hat sie es einfach zugelassen, es geduldet. Aus Hilflosigkeit, aus … ich weiß es nicht. Wie sie durch die Jahre hindurch vieles einfach hingenommen hat. Vermutlich aus Dankbarkeit uns gegenüber, aus einem schlechten Gewissen heraus. Das aber völlig unnötig war. Wir haben sie geliebt. Auch wenn es … zwiespältig war. Nicht einfach. Nein. Und natürlich hat sie uns vieles zu verdanken. Und all unser Unglück hat mit ihr begonnen.«
    Zwiespältig, dachte Franza. Ja, genau, das ist ein gutes Wort: zwiespältig.
    »Ich weiß, es klingt schrecklich«, sagte Dorothee und barg ihr Gesicht in den Händen.
    »Nein«, sagte Franza, »nicht schrecklich. Nur ehrlich. Erzählen Sie weiter. Versuchen Sie sich zu erinnern.«
    »Ja«, sagte Dorothee, »ja …«
    Damalsdamalsdamals … die Jahre flossen … zurück …
    »Du siehst so schön aus«, sagte Gertrud und schaute Hanna staunend an, »so schön.«
    Hanna lachte. »Ach was! Du spinnst doch! Ich und schön!«
    »Doch«, sagte Gertrud, »doch«, streckte ihre Hand aus und strich Hanna übers Haar, aber Hanna schreckte zusammen. »Schau mich nicht so an, Gertrud! Ich mag das nicht!«
    Sie machte einen raschen Schritt zurück, lauschte in die Stille, in Gertruds Schmerz, den sie ahnte, riss den kurzen Faden der Zweisamkeit und drehte sich. Drehte sich um sich selbst wie ein Kreisel mit Flatterarmen und Flatterbeinen, jagte den Abhang hinunter zum Fluss und Gertrud … ihr hinterher, hinterher, Hanna hinterher, immer.
    »Ich bin ein Adler«, schrie Hanna, lachte, rannte, flog. »Wer ist die Windsbraut, die mich trägt?« Ich, dachte Gertrud, ich, lass es mich sein … aber wusste doch, ahnte doch mit klarer Bestimmtheit …
    Der Fluss war noch kalt, es hatte viel geregnet in diesem Jahr, die Temperaturen lagen weit unter dem Mittel der letzten Jahre, doch die Wiesen waren satt und grün und am Rand der Au gleißten Sonnenflecken. Hanna sprang ins Wasser, brüllend und lachend, um die Kälte zu überlisten: »Im Purpur die Nesselwangen sinken tiefer und tief!«
    Das war es, warum Gertrud sie liebte, dass sie solche Satzgebilde von sich gab, während sie ihr nasses Fell schüttelte wie ein Hund und weiterjagte und weiterjagte am Ufer entlang.
    Gertrud liebte Hanna wegen ihrer Leichtigkeit, ihrer Unbeschwertheit, ihres Mutes, ihrer Güte und vor allem … vor allem liebte sie sie, weil sie all das besaß, was ihr selber fehlte.
    »Ich bin ein Adler«, schrie Hanna in das rote Gold der untergehenden Sonne und breitete weit die Arme aus. »Wo ist die Windsbraut, die mich trägt?«
    Jemanden lieben, schrieb Gertrud in einer jener glühend heißen Sommernächte in jenem ersten Münchner Jahr in ihr rotes Buch, jemanden lieben vom ersten Augenblick an. Jemandem angehören vom ersten Augenblick an. Ich habe den Mut gefunden, mich berühren zu lassen von den Tatsachen, den Wirklichkeiten. Ich bin endlich ins Lieben getaucht, endlich – ins Lieben und ins Leben und ins Licht.
    Das Wetter blieb den ganzen Sommer über heiß und trocken, trotzdem verließ Gertrud die Wohnung kaum, nur mit Hanna wagte sie sich hinaus auf die Straßen und Plätze, im Dämmerlicht erwanderten sie die Stadt, die golden und durchsichtig schien.
    Am Morgen, wenn Hanna aus dem Haus gegangen war, schlich Gertrud sich ins Badezimmer, schloss die Augen und konnte sie riechen, nur noch Reste ihres Duftes, aber sie spürte sie auf. Meiner Liebsten folg ich bis an den Rand aller Tage.
    In Hannas Zimmer öffnete sie alle Schränke, Kästen, Schubladen, berührte nichts, betrachtete nur, wollte immer wieder sehen, wie, wer, was …
    Manchmal ließ Hanna Notizen auf ihrem Schreibtisch liegen – jemandem auf die Spur kommen . Da war Gertrud plötzlich ihr auf die Spur gekommen, das erschreckte, machte schuldbewusst. Auf dem Bett liegend, brachte sie den Satz nicht mehr aus dem Kopf. Hanna, komm auf meine Spur …
    »Verbrenn nicht!«, beschwor sie sich. »Verrauch nicht. Maß dir keine Gewissheit an.«
    Aber es war schon geschehen. Gäbe es ein Foto aus diesen Tagen, es zeigte Gertrud wesenlos.
    Das Handy läutete. Plötzlich das Handy. Störte Franza beim Zuhören. Zum zweiten Mal. Wieder das Handy. Arthur zum zweiten Mal. Schien dringend zu sein.
    »Entschuldigen Sie, Frau Brendler«, sagte Franza,

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