Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)
»aber da muss ich wohl rangehen!«, stand auf, ging ein paar Schritte weg.
»Ich heirate«, sagte Arthur.
Franza riss die Augen auf. »Was? Bist du noch bei Trost?«
»Weil ich heirate?«, fragte er und schien ein bisschen gekränkt. Sie verdrehte die Augen. »Arthur«, sagte sie, »es ist schön, dass du heiratest. Wirklich. Wunderschön. Aber wenn du deshalb anrufst …«
»Oh«, sagte er, »nein, natürlich nicht.«
»Arthur«, sagte sie. »Komm auf den Punkt!«
»O.k.«, sagte er, »Entschuldigung. Also der Punkt. Frag Frau Brendler nach Tonio.«
Franza legte auf. Gut, dachte sie, Tonio also. Dann wollen wir mal.
»Tonio«, sagte Franza. »Erzählen Sie mir von Tonio.«
Dorothee Brendler blickte auf, überrascht, irritiert, schüttelte leicht den Kopf. »Wie kommen Sie denn jetzt …?«
»Egal«, sagte Franza, »erzählen Sie.«
»Tonio«, murmelte Dorothee und starrte auf den Kiesweg zu ihren Füßen. »Er tauchte ganz plötzlich auf. Ein Mann schon. Knapp dreißig. Kein Junge mehr. Hatte schon ein Leben. Hat sich Hanna geholt.«
Er tauchte ganz plötzlich auf. Ein Mann schon, kein Junge mehr, knapp dreißig. Er kam ins »Renates Inn«. Das sperrte mittags auf und in den späten Nachtstunden zu. Ein kleines Lokal in der Nähe der Uni, viele Studenten verkehrten da. Vasco, Renates Freund, den sie sich aus Spanien mitgebracht hatte, backte kleine Küchlein, die waren der große Renner. Sie schenkten Guinness aus, Cola, Wasser und sonst nicht viel, aber das Lokal lief wie geschmiert, vielleicht gerade deshalb. Die Gäste sagten, hier höre man die beste Musik aller Zeiten. Auch da hatte Vasco seine Hände im Spiel, er legte nachts auf, wozu er Lust hatte, manchmal spielten groovige Bands, man konnte tanzen, wenn man wollte, man konnte aber auch einfach nur zuhören.
Hanna und Gertrud waren oft da. Und dann auch Tonio. Eines Tages saß er an der Theke. Hanna betrat den Raum. Tonio sah sie sofort. Und sie sah ihn. Das war alles.
Am nächsten Abend tauchte er wieder auf, am übernächsten ebenso und auch am dritten und sobald Hanna kam, wich die Unruhe aus seinem Körper. Am dritten Abend begann Hanna zu tanzen, das hatte sie nie zuvor gemacht. Sie schnappte Gertrud an der Hand, zog sie mit sich und dann tanzten sie. An der Bar mit Blick auf die Mädchen saß Tonio, er schaute Hanna zu, eindringlich, mit leichtem Grinsen auf den Lippen. Hanna sah es und über Gertruds Schulter hinweg begann sie mit ihm zu flirten, unbewegt, mit den Augen nur und einem winzigen Zucken des Mundes. Gertrud spürte die Veränderung, sie drehte sich um, sah Tonio und ihr Herz stand für den Bruchteil einer Sekunde still.
Hanna also ist für mich verloren, dachte sie und spürte, dass es weh tat, weh.
»Hanna also«, sagte Tonio, als er ihren Namen erfuhr und eine Strähne ihres roten Haares um seinen Finger wickelte, an seine Nase hob, an seinen Mund.
Er durfte das. Er ja.
»Ich will dich ansehen, Hanna, darf ich?«
Er durfte, er ja. Er saß fünf Meter von ihr entfernt mit erhobenem Glas in angetrunkenem Zustand auf seinem Barhocker und durfte laut ihren Namen in das Hämmern der Bässe hineinschreien. Hanna lächelte und ihre Zähne glänzten im hellen Licht.
27 Es regnet. Ich verstehe nun. Ein bisschen. Aber verstehen ist nicht verzeihen. Die Jahre flirren zurück, glänzendes Karussell. Es regnet. Warm ist der Regen und weich. Ich gehe ins Wasser und schwimme hinaus, die Nässe umfängt mich von oben und unten, die Regentropfen platzen auf der Wasserfläche des Sees, bilden kleine Kreise und versinken in der Tiefe.
Tonio. Mein Tonio. Ich habe lange nicht an dich gedacht. All die Jahre hindurch warst du nur ein winziger Schatten in meiner Erinnerung, und nun …
Nichts geht verloren, auch, wenn man es wegschließt in die Tiefen seines Gedächtnisses und den Schlüssel verliert. Irgendwann ist alles wieder da. Stärker als zuvor. Was für ein Irrglaube zu denken, dass man seinem Leben entkommen kann.
Voller Ungeduld ist Tonio gewesen. In allem. Hat so rasch gelebt. Ganz anders als ich, ganz anders als Gertrud. Kam wie ein Sturm über uns, ungezügelt, ungebremst. Wollte alles auf der Stelle, konnte nicht warten. Obwohl … das stimmt nicht ganz. Nein. Auf mich hat er gewartet. Drei ganze Tage und Nächte lang. Hat gewartet, dass ich ihn bemerke. Dass ich ihm einen Blick schenke. Mein Lächeln. Mein Sehnen. Und dabei … hatte ich ihm all das doch schon am ersten Tag gegeben, im ersten Augenblick.
Wir waren
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