'Rache'-Box: Rachezug, Rachegier und Rachetrieb (German Edition)
Sie heute Abend Wache schieben, sollten Sie noch einmal bei diesem Albert Weller vorbeischauen. Von dem haben wir nämlich immer noch keinen Ton gehört. Wer weiß, womöglich erübrigt sich dann die ganze Bewachungsaktion.“ Er wandte sich an Dorm und Vielbusch: „Während Ihre Kollegen bei dem Lehrer vorbeischauen, werden Sie sich um die Leiche im Göttinger Wald kümmern. Finden Sie heraus, ob der Mörder uns nur einen Schock einjagen wollte oder ob er Julia Bartel tatsächlich schon ermordet hat. Und danach fahren Sie noch einmal bei dem Studenten Stefan vorbei. Der ist bisher nämlich noch nicht wieder aufgetaucht und die Fahndung nach ihm hat auch noch nichts ergeben.“
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„Wach auf! Wach endlich auf!“
Die verzerrte Stimme hallte quer durch den Raum. Sie wurde von einer Ecke in die andere geworfen, bis sie wieder bei ihrer Quelle anlangte und langsam verpuffte.
Zitternd hob Julia ihre Lider. Doch kaum hatte sie diese für einen Moment geöffnet, da fielen sie auch schon wieder zu. Allerdings nicht aus Schwäche. Vielmehr hatte sie der grelle Schein einer Neonröhre geblendet. Die Röhre hing rechts an einer Wand, zwei Meter von Julia entfernt.
Ihr Kopf rollte zur linken Seite, wo sie es erneut wagte, vorsichtig zu blinzeln. Diesmal blendete sie nichts. Eine wahre Wohltat, dachte sie erleichtert.
Unmittelbar vor sich sah sie eine kahle Wand, die stellenweise stark zerbröckelt war. Als sie dann ein Jucken an ihrem linken Auge spürte, kniff sie dieses erschrocken zusammen und wollte es sich ausreiben. Doch ihre Arme gehorchten dem Befehl nicht. Sie hingen fest. Bombenfest. So sehr Julia sich auch bemühte, sie konnte ihre Arme nicht bewegen.
Nach und nach realisierte sie, dass sie auf einer weißen Matratze lag, die sich wie ein steinhartes Brett anfühlte. Ihre Arme und Beine waren vom Körper abgespreizt, die Hände und Füße an Metallgitter gebunden. Die Seile wiesen jeweils einen vierfachen Knoten auf. Auf ihrem Mund klebte ein Pflaster.
Die Schülerin sah an sich herab. Dabei wurde sie gewahr, dass sie ein weißes T-Shirt zu einer blauen Schlafanzughose trug. Genau diese Klamotten hatte sie getragen, als sie am Dienstagabend entführt worden war.
„Bist du wach?“, ertönte die verzerrte Stimme wieder.
Zwar konnte sie die Worte hören, vermochte sie aber nicht zu einem syntaktisch sinnvollen Satz zusammenzufügen. Ihr Gehirn schien zu benebelt zu sein, um wie gewohnt arbeiten zu können.
„Antworte mir!“
Die furchtbare Stimme kam aus der Richtung des gleißenden Lichts. Saß etwa jemand neben dem Bett? Ihr Entführer? Ihr Mörder?
Das muss ein Albtraum sein, hoffte Julia und riss wieder an den Fesseln.
„Probier es erst gar nicht“, lachte der Mörder. „Es hat keinen Zweck. Du kannst dich nicht befreien. Du wirst dieses Gebäude nicht mehr lebendig verlassen.“
Mehrere Tränen liefen über Julias Wangen. Gebäude? Welches Gebäude denn nur? Wo bin ich hier? Wer ist dieser Irre? Was hat er mit mir vor?!
„Hast du Durst? Du musst durstig sein, so lange wie du hier schon liegst.“
Sie schluckte schmerzhaft. Wie lange lag sie hier denn schon, um Himmels Willen? Einen Tag? Zwei Tage? Sie wusste es nicht, hatte das Zeitgefühl komplett verloren.
„Trink das“, kommandierte der Mann nun und riss ihr mit einem Ruck das Pflaster vom Mund. Dann setzte er ein Glas Wasser an ihre Lippen. Vor lauter Schmerzen konnte sie ihren Mund nicht weit öffnen, aber es reichte aus, um die Flüssigkeit schluckweise in sich aufzunehmen.
„Du schwitzt ja, Julia. Warte einen Moment.“
Nach wenigen Sekunden stülpte sich ein Tuch wie eine Maske über Julias Augen. Der Mörder trocknete ihr Gesicht. Zärtlich, beinahe liebenswürdig.
„So. Schon besser?“
Die Schülerin nickte, doch während sie einen weiteren Schluck Wasser zu sich nahm, bildeten sich unverzüglich neue Schweißperlen auf ihrer Stirn.
Sekunden später schnipsten zwei Finger vor ihren Augen. Zunächst sah sie diese vierfach, dann sechsfach, schließlich achtfach. Ihr Kopf wurde immer schwerer, ihre Lider begannen zu zucken.
„Sehr gut. Es wirkt.“ Ein weiteres Lachen ertönte, während Julia in ein tiefes schwarzes Loch fiel.
„Gute Nacht, Kleine. Träum etwas Schönes. Für das letzte Mal in deinem Leben.“
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Um kurz nach elf Uhr fuhren Nora und Tommy am Städtischen Museum in der Ritterplan-Straße vorbei. In diesem Eckgebäude verdeutlichten zahlreiche Exponate sowohl die kulturelle als auch die historische
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