'Rache'-Box: Rachezug, Rachegier und Rachetrieb (German Edition)
Entwicklung Göttingens. Doch Noras und Thomas’ Gedanken drehten sich momentan keineswegs um die kulturgeschichtliche Erforschung ihrer beider Heimatstadt. Auch das imposante Deutsche Theater , an dem sie kurz darauf vorbeikamen, interessierte sie nur äußerst bedingt. Sie ließen das Gebäude links liegen, um eine Minute später in der Bühlstraße am östlichen Rand der Innenstadt anzuhalten. Dort wohnte Albert Weller in einem altmodischen, sechsstöckigen Backsteingebäude.
Nachdem die Kommissare ausgestiegen und in das Haus gehuscht waren, entnahmen sie der Namensliste neben den Briefkästen die Information, dass sich Wellers Wohnung im fünften Stock befand. Als sie oben ankamen, fanden sie die Unterkunft sehr schnell.
Kurz nachdem Tommy zweimal geklingelt hatte, öffnete der Lehrer die Tür. „Wer sind Sie?“, fragte er mit einer tiefen Bassstimme zur Begrüßung. Den Blick richtete er sofort auf Tommys Narbe.
„Kripo Göttingen. Sind Sie Albert Weller?“
„Ja, wieso?“
„Es geht um die aktuellen Mordfälle.“ Nora zeigte ihm ihren Ausweis. „Sicherlich haben Sie von diesen schon gehört?“
Der 45-Jährige wandte seinen Blick von Thomas’ Narbe ab und betrachtete Noras Ausweis überaus desinteressiert. Dann ließ er die beiden in seine Wohnung eintreten, wobei er betrübt antwortete: „Ja, ich habe von den Morden in der Zeitung gelesen. Schreckliche Geschichte.“
Während Nora an dem Lehrer vorbeischritt, konnte sie nicht begreifen, wie er es bei diesen tropischen Temperaturen in einem Anzug aushalten konnte. Noch entsetzlicher wog für sie allerdings die Erkenntnis, dass Wellers Deodorant seinen Dienst eingestellt hatte und die gesamte Wohnung nach beißendem, männlichem Schweiß stank.
Weller schloss die Tür hinter ihnen und führte sie anschließend in den überschaubaren Wohnraum. Zwar durchbrach er nicht einmal die 180cm-Marke, dafür hatte er aber sehr breite Schultern. Zudem war er tipptopp in Form und sein gepflegter Dreitagebart sowie die blonden Kopfhaare ließen den 45-Jährigen höchstens wie fünfunddreißig wirken.
„Wie kann ich Ihnen bezüglich dieser abscheulichen Mordfälle denn behilflich sein?“, wollte er wissen, bevor er sich mittig in seiner Wohnung postierte.
„Zunächst würden wir gerne von Ihnen hören, wieso Sie sich nicht bei uns gemeldet haben. Unsere Kollegen hatten Ihnen eine Nachricht hinterlassen.“
„Oh, das tut mir leid. Das muss ich vollkommen vergessen haben. Ich bin momentan nämlich ziemlich durcheinander, weil ich auf das Ergebnis einer ärztlichen Untersuchung warte.“
„Vergessen? Sie haben vergessen , sich bei der Polizei zu melden, nachdem Sie eine ausdrückliche Aufforderung erhalten hatten?“
„So ist es.“
„Interessant. Immerhin sagt ein solches Verhalten etwas über einen Menschen aus, nicht wahr?“, schoss Thomas gleich zu Beginn auf den Lehrer ein.
Wieder merkte Nora, dass ihr Kollege seine ausgeglichene Art zunehmend verlor. Es setzte ihm sichtlich zu, dass der gesuchte Täter seine Spielchen mit ihnen treiben konnte, ohne dass sie ihm auch nur einen kleinen Schritt näher kamen.
„Wie ich schon sagte, ich bin im Moment sehr nervös“, erwiderte Weller. „Schließlich könnte ich sehr krank sein.“ Er sah Tommy vernichtend an. „Aber so etwas verstehen Sie anscheinend nicht. Sicherlich hatten Sie noch niemals ernsthafte gesundheitliche Probleme, wie? Genießen Sie Ihr sorgenfreies Leben? Denken Sie, dass es allen Menschen so gut geht wie Ihnen?!“
Bevor Thomas etwas erwidern konnte, sagte Nora in einem geschäftsmäßigen Tonfall: „Wir müssen Ihnen bezüglich der Morde leider eine schlimme Nachricht übermitteln.“
„Welche Nachricht?“
„Bei einem der Mordopfer handelt es sich um eine Ihrer Schülerinnen.“
Weller ließ seinen Blick durch die fünfzig Quadratmeter große Wohnung wandern. Er wirkte nicht gerade schockiert. „Ich habe es befürchtet. Sicher geht es um das Mädchen, das im Göttinger Wald gefunden wurde, stimmt’s?“ Da er sich wie ein Leitwolf vor den Kommissaren aufbaute, machte er auf Tommy einen überaus selbstgefälligen und unsympathischen Eindruck.
„Das ist korrekt. Ihr Name ist Gabriella Zank.“
„Was?!“ Jetzt sauste Wellers Kopf nach vorne. „Gabriella? Mein Gott! Das habe ich nicht erwartet.“
„Was haben Sie denn erwartet?“, hakte Tommy spitzfindig nach.
„Ich … ich … gar nichts. Ich verstehe das nur nicht. Wer macht so etwas denn nur?“ Er
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