'Rache'-Box: Rachezug, Rachegier und Rachetrieb (German Edition)
deutete den Kommissaren an, auf einem Sofa Platz zu nehmen. Dann schritt er zu einer Kommode und lehnte sich dagegen.
„Gabriella wurde während ihrer Klassenfeier ermordet. Einer Feier, auf der auch Sie zeitweilig zugegen waren, nicht wahr?“, fragte Tommy herausfordernd.
„Stimmt, ich war für ein paar Minuten dort. Einige Mädchen hatten mich dazu eingeladen.“
„Wann sind Sie dort angekommen und um wie viel Uhr haben Sie die Party wieder verlassen?“
„Das klingt ja so, als sei ich Ihr Verdächtiger!“, stellte Weller entrüstet fest. Er trat wieder in die Mitte des Raumes und sagte: „Diese infame Unterstellung lasse ich mir nicht bieten!“
„Herr Weller, das sind lediglich routinemäßige Fragen“, beruhigte Nora ihn freundlich, obwohl der Lehrer auch auf sie von Grund auf unsympathisch wirkte. Möglicherweise lag es an seinem hochnäsigen Blick, der zu sagen schien: Warum gebe ich mich überhaupt mit euch ab? Ich bin sowieso etwas Besseres. Ich habe studiert.
„Na schön, ich kam etwa um zehn nach neun auf der Feier an. Wie lange ich dort geblieben bin, kann ich Ihnen nicht sagen. Ich schätze, dass ich um zwanzig vor zehn wieder los bin. Ich wollte nicht lange auf der Party bleiben. Die Kinder sollten alleine feiern. Dort gehörte ich nicht wirklich hin.“
„Haben Sie Gabriella auf der Feier gesehen oder sogar mit ihr gesprochen?“
Noch immer fühlte Weller sich wie ein Verdächtiger behandelt. Und das passte ihm ganz und gar nicht. Er stellte sich breitbeinig vor das Sofa und stemmte die Hände in die Hüfte. „Wie können Sie es wagen, einen aufrichtigen Menschen wie mich derart ungehobelt zu überfallen und vor vollendete Tatsachen zu stellen?“
Nora sah ihn wirr an. „Ich befürchte, Sie haben mich vorhin nicht richtig verstanden. Diese Fragen sind lediglich -“
„Routine, schon klar“, fiel Weller ihr prustend ins Wort, ehe er sich zur Balkontür neben dem Sofa begab. „Ja, ich habe Gabriella auf der Feier gesehen. Aber ich habe mich nicht mit ihr unterhalten. Darauf gebe ich Ihnen mein Ehrenwort.“
„Und wann genau haben Sie Gabriella gesehen?“
„Hören Sie. Ich würde Ihnen wirklich gerne helfen. Aber zu meiner Schande glotze ich nicht alle fünf Minuten auf die Uhr, um eine präzise Zeitangabe zu meinen jeweiligen Handlungen machen zu können. Wenn ich raten müsste, dann wird es ungefähr zwanzig nach neun gewesen sein. Gabriella saß mit Jasmin und Julia, zwei ihrer Mitschülerinnen, in der Scheune und hat sich mit ihnen unterhalten.“
„War noch jemand bei den Schülerinnen? Vielleicht ein Junge?“
„Ja, ein älterer Junge mit blonden Haaren hat neben ihnen gehockt. Allerdings kannte ich den nicht, und er hat auch nicht viel zu dem Gespräch der Mädchen beigetragen.“
„Danach haben Sie Gabriella nicht noch einmal gesehen?“
„Nein.“
„Wohin sind Sie gefahren, nachdem Sie die Party verlassen hatten?“
Weller ließ seinen Kopf von links nach rechts wippen. „Ich bin ihr Verdächtiger, nicht wahr?“
„Antworten Sie auf die Frage!“
Der Lehrer zögerte.
Es scheint so, als müsste er sich eine passende Antwort zurechtlegen , dachte Tommy.
„Ich bin auf direktem Weg hierhin gefahren“, gab Weller als Antwort und stampfte auf den Teppichboden. Seine Arme verschränkte er wieder vor der Brust. Es lag ihm sichtlich viel daran, sein Revier durch unmissverständliche Gesten zu markieren. Er wollte den Störenfrieden auf deutliche Weise zu erkennen geben, wer in seiner Wohnung das Sagen hatte.
„Haben Sie irgendwo angehalten, um beispielsweise Zigaretten zu kaufen?“, erkundigte Nora sich; auf einem Beistelltisch neben dem Sofa hatte sie eine Schachtel filterloser Glimmstängel entdeckt.
„Nein, ich habe nirgendwo angehalten.“
„Und Sie leben alleine?“ Noras fragende Feststellung resultierte aus der Gestaltung des Wohnraums. Es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass eine Frau in der Wohnung lebte. Nicht nur, dass diese widerlich stank, sie war auch überaus ungemütlich eingerichtet. Sie versprühte beinahe den Charme eines Autopsiesaals: Weiße Wände, weißer Teppich, weiße Möbel. In dieser herzlosen Monotonie könnten einige farbenfrohe Gemälde sicherlich Wunder bewirken. Auch die eine oder andere Topfpflanze wäre gewiss keine schlechte Wahl gewesen.
Nein , wusste Nora, hier lebt keine Frau . Jede Frau hätte dieser Unterkunft spätestens nach fünf Minuten den Rücken gekehrt. Falls sie sie überhaupt betreten
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