Rache: Die Eingeschworenen 4
weiterzumachen.
Odin hatte uns Ruhm und Reichtum versprochen, und natürlich lag ein Fluch darauf, denn er hatte uns nicht gesagt, dass wir uns hüten sollten vor dem, was wir uns so unbedingt erkämpfen wollten. Jetzt, wo wir es hatten, konnten wir uns nicht darüber freuen. Denn, wie der rote Njal gesagt hatte, wozu noch auf Raubzüge gehen, wenn es keinen Mangel an Silber und Frauen mehr gibt? Es war auch kein Vergnügen, das Tier am Bug unseres Schiffes ständig links liegen zu lassen und sich stattdessen ans Land zu binden, das man nur immer wieder umgraben konnte. Würmer machten schließlich auch nichts anderes, wie Hlenni zu bedenken gab.
Ich hörte, wie die Männer sich über dieses erdrückende Wyrd Odins unterhielten. Von den anderen waren einige in die Welt hinausgezogen. Zwar hatten sie behauptet, nach wie vor zu den Eingeschworenen zu gehören und sofort wieder an meiner Seite zu sein, wenn es notwendig sein sollte, weil der alte Schwur sie an uns band: Wir schwören, dass wir einander Brüder sein wollen, mit Knochen, Blut und Stahl. Wir schwören auf Gungnir, Odins Speer, möge er uns bis in die neun Reiche und darüber hinaus verfluchen, wenn wir diesen Schwur gegenseitig brechen.
Ich hatte genickt und ihr Versprechen akzeptiert, während wir uns mit den Händen umklammerten, um den Schwur lebendig zu halten und sie selbst vor Schaden zu bewahren, aber ich erwartete nicht, auch nur einen von ihnen wiederzusehen. Diejenigen, die bei mir blieben, stöhnten unter den Fesseln, die sie daran hinderten, dem Tier am Bug zu folgen. Mürrisch schleppten sie sich durch Winter um Winter, immer mit einem Fünkchen Hoffnung, dass mit dem wärmeren Wetter etwas passieren würde, was sie wieder auf die stürmische See schicken würde. Doch nie schien der Funke ein wirkliches, ernsthaftes Feuer zu entfachen.
Die Einzigen, die nicht mehr stöhnten und schimpften, waren Botolf und der kleine Eldgrim, der erste, weil er mit seinem Holzbein auf einem Raubzug zu nichts nütze wäre, außerdem weil er Ingrid und eine Tochter hatte, die ihm jetzt wichtiger waren; der zweite hatte die meiste Zeit ohnehin keine rechte Vorstellung davon, wo er war, nachdem er vor Jahren bei einem Kampf einen Schlag auf den Kopf bekommen hatte, der ihm den Verstand geraubt hatte.
In dem freudigen Überschwang nach unserer Rückkehr, reich mit Silber und Ruhm beladen, hatte Finn Thordis geschwängert, die jetzt ihren Sohn Hroald in ihrer aufgesteckten Schürze wiegte. Finn betrachtete den Jungen jeden Tag mit einer Mischung aus Genugtuung und Kummer, denn einerseits ging es ihm wie jedem stolzen Vater, andererseits hatte er damit die Kette, die ihn zurückhielt, noch zusätzlich verstärkt, denn Thordis erwartete jeden Moment seinen Heiratsantrag.
Wenn ich dagegen zu Thorgunna hinübersah, die mich mit ihrem Blick wissen ließ, dass mit ihrer Schwangerschaft alles in Ordnung war, gab es keine Worte, keine Dichtkunst, die beschrieben hätte, wie mir bei dieser Nachricht zumute war. Es war eine doppelte Freude, denn sie hatte bereits ein Kind verloren, und die Tatsache, dass sie trotzdem wieder Mutter werden konnte, war wichtiger als alles Silber, das Odin uns geschenkt hatte.
Dennoch hing der Trübsinn der enttäuschten Männer wie ein zäher Seenebel über Hestreng, deshalb war die Ankunft des jungen Krähenbein auf seinem prächtigen Schiff für alle ein Lichtblick, und sein selbstsicheres Auftreten, gepaart mit einer gewissen Arroganz, sorgte für neugieriges Interesse.
Krähenbein. Olaf Tryggvesson, der Prinz von Norwegen, war ein zwölfjähriger Knabe, dessen Ruhm ihm vorauseilte wie Odins Blitze dem Donner. Sein Ruf war so sehr mit dem meinen verbunden, dass Schwerter und Äxte gesenkt blieben, denn niemand glaubte im Ernst, dass Krähenbein gekommen war, um seinen Freund Orm von Hestreng auszurauben.
Er saß in meiner Halle und rieb seine Stiefel mit Schaffett ein; das war die Strafe für seine Unvorsichtigkeit, vom Bug seines Schiffs in das flache Salzwasser zu springen, das alles Leder zerfrisst.
Ich hatte ihn drei Jahre lang nicht gesehen und war überrascht. Ich hatte ein neunjähriges Kind zurückgelassen, jetzt stand ein junger Mann von zwölf Jahren vor mir. Er hatte ein markantes Kinn, seine verschiedenfarbigen Augen– das eine braun wie eine Haselnuss, das andere blaugrün wie ein Eisberg– waren sanft wie immer. Sein blondes Haar war lang und wehte im Wind, doch über der Stirn hatte er zwei Zöpfe, in deren Enden
Weitere Kostenlose Bücher