Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers
gab ganz absichtlich eine erbärmlich-doofe Figur ab. Dabei beteuert er höflich, dass er mich und meine Reisetasche im Leben nie gesehen habe, jetzt sehr in Eile wäre und eigentlich schon verschwunden sei. Da knarrte die schwere, eichene Haustür, zwei Beamte traten in den Hausflur und riefen nach oben, ob ich derjenige sei, welcher. Ich erklärte mit Nachdruck, dass ich nie und nimmer im Treppenhaus gelegen hätte, um dort zu nächtigen. Da ging unten auch schon wieder die Korridortür auf und die Bewohnerin vom Parterre plärrte genau das Gegenteil von dem, was ich gerade von mir gab. Sie behauptete sogar, dass ich als »Brückenschläfer« tagsüber mein Unwesen in diesem Mietshaus treiben würde. Dabei richtete sie ihren Krückstock auf die obere Etage. Die Beamten rasten zu mir nach oben, nahmen mich ins Kreuzfeuer und führten mich wie einen Schwerverbrecher ab. Leider Gottes hatte ich außer den beiden lumpigen DM und einem Paket Tempotaschentücher nicht einmal Papiere »am Mann«.
Inzwischen hat mich der ganze Polizeiapparat nebst einem für 1990 sehr seltenen Computer als einigermaßen unbescholtenen Bürger identifiziert. Den Innenminister habe ich allerdings nicht zu Gesicht bekommen. Dann hat mich das Revier Leipzig-Ritterstraße wieder »ausgespuckt«. Ewig und drei Tage habe ich in dieser blöden Dienststelle zugebracht, während sich die Polizei eben einen Überblick über meine Identität verschafft hat:
Name: Drehwolke
Alter: siehe Kartei!
Größe: 1,82 m
Augenfarbe: braun-grün
Gewicht: 75 kg
(Gesichtsfarbe: auf Grund des letzten Ärgernisses auffällig blass!)
Besondere Kennzeichen: keine, bis auf die Schürfwunde am rechten Jochbein!
Da stand ein Schreibtisch vor mir, auf dem sich Kästen mit Karteikarten türmten. Ich erfuhr später, dass alle meine Kenndaten, welche bisher in den polizeilichen Karteien vorhanden waren, irgendwann einmal auf eine Festplatte gespeichert würden und dass dies künftig alle Bürgerinnen und Bürger über sich ergehen lassen müssten. Weil diese Information ein wenig dramatisch klang, horchte ich auf. Eine Beamtin beobachtete mich und meinte, ich könnte ganz beruhigt sein, denn dieser Speichervorgang sei völlig schmerzfrei. Diese Art der Registratur ließ ich mir trotzdem erklären. Da diese Technik noch nicht zum Polizei-Standard gehörte, dauerte dieser Akt bis zum Abend. Eine ganze Kompanie Polizistinnen und Polizisten hämmerte nun auf der Tastatur des Computers herum, doch letzten Endes landete der Holzkasten mit meiner Blockschrift-Kartei wieder in einem versiegelten Stahlschrank.
Die Polizei hat dokumentiert, dass sie mich wegen Mangels an Beweisen aus dem Polizeirevier entlassen müsste. Gegen diese Formulierung protestierte ich entschieden, trug ich als Bürger doch eine weiße Weste. »Das is nu ma‘s Amtsdeitsch in diesen neien Rechtsschtaat, weil mor nüscht gegen Sie in dor Hand hamm! Odder woll’n Se ‘ne Aussache machen?« – so eine junge Nachwuchspolizistin. Sofort dachte ich an das dubiose Teppicheverkaufen oder zumindest an den Versuch und machte mich augenblicklich aus dem Staub. Die Leute auf der Straße haben mich kritisch angegafft, als ich den »Hauptausgang« des Polizeireviers passierte. Danach verschwand ich in Richtung Brühl.
Der Birkenprozess
In der Bundesrepublik Deutschland ist alles rechtsstaatlich geregelt, heißt es. Jeder darf jeden verklagen und jeder Rechtsanwalt wird jedes Mandanten Prozessvollmacht annehmen, wenn der Streitwert nur hoch genug ist. Zwei unserer Nachbarn stritten sich ewig und drei Tage um nichts. Natürlich ist das untertrieben, aber Anlass zur Feindschaft waren eigentlich nur zwei Birken, die Zwietracht unter den Bürgern Meier und Schulze säten. Diese Gewächse entledigten sich nämlich ihrer Blätter im Vorgarten des jeweiligen Nachbarn.
Der Rechtsstreit begann eigentlich schon in der ehemaligen DDR, wo solche Rechtsstreitigkeiten mit nur geringen finanziellen Risiken verbunden waren. Da die Rechtsanwälte besagte Probleme damals nicht ernst nahmen, kam zwar der Schriftverkehr Meier gegen Schulze zum Erliegen, aber die Feindschaft blieb.
»Vertrage dich mit deinem Nachbarn!«, sagte meine Großmutter einmal. »Es kann der Frommste nicht im Frieden leben, wenn‘s dem Nachbarn nicht gefällt!«, entgegnete ich, weil meine Großmutter diesen Spruch seit eh und je prägte. Sie ließ sich aber nicht mit ihrer eigenen Waffe schlagen und hielt dagegen, dass jeder im Leben einen Pflock
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