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Rachedurst

Rachedurst

Titel: Rachedurst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Patterson
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Erde nur durch eine mottenzerfressene Decke geschützt, als ich die Augen aufriss und mein Herz einen Takt aussetzte. Vielleicht auch mehrere.
    Heiliger Strohsack! Ist es das, wofür ich es halte? Schüsse?
    Die Antwort auf meine Frage erhielt ich in den nächsten Sekunden, als Dr. Alan Cole in der Dunkelheit auf mich zuraste und mich kräftig am Arm rüttelte. Wir hatten im Freien geschlafen, weil unsere Zwergenzelte eher einer Sauna glichen.
    »Wach auf, Nick. Steh auf! Sofort!«, drängte er. »Wir werden angegriffen. Das ist kein Witz. Los!«
    Ich schoss wie ein Pfeil nach oben, als der Lärm weiterer Schüsse in der Luft hallte. Peng! Peng! Peng!
    Die Schüsse kamen näher.
    Aber auch diejenigen, die sie abfeuerten. Und das ziemlich schnell.
    »Dschandschawid – das sind Dschandschawid, oder?«, fragte ich.
    »Ja«, bestätigte Alan. »Ich hatte so was befürchtet. Es hat sich rumgesprochen, dass wir hier sind.«
    »Was machen wir jetzt?«

    »Komm mit«, forderte er mich mit einem Wink seiner Taschenlampe auf. »Schnell, Nick. Beweg dich.«
    Ich schnappte mein Kissen – auch bekannt unter dem Namen Rucksack. Aus dem Augenwinkel erblickte ich eins meiner Notizbücher neben dem Stapel Kisten, der mir als Schreibtisch gedient hatte. Ich trat einen Schritt darauf zu, als mich Alan wieder am Arm packte, diesmal aber, um mich zurückzuhalten.
    »Dafür ist keine Zeit, Nick. Wir müssen so schnell wie möglich weg hier«, warnte er mich. »Sonst sind wir beide tot. Und zwar, nachdem sie uns gefoltert haben.«
    Wie ein geölter Blitz rannte ich hinter Alan her, vorbei an den Sperrholz- und Metallplatten, die ihm in diesem provisorischen Krankenhaus am Rande des Zalingei-Distrikts im Sudan als OP-Saal gedient hatten. Mir wurde bewusst, wie sehr sich dieser Arzt selbst in einer solchen Situation unter Kontrolle hatte. Weder kreischte noch schrie er.
    Ich hätte am liebsten beides getan.
    Um Gottes willen, Nick, denk mal über diesen Todeswunsch in dir nach. Musstest du den Auftrag wirklich annehmen? Du wusstest von vornherein, dass dieser Teil von Darfur für Journalisten noch immer viel zu gefährlich ist! Courtney hat dich sogar darauf hingewiesen, als sie dir den Auftrag angeboten hat.
    Aber genau darin lag der Sinn des Artikels, an dem ich schrieb – der Grund, warum ich hier war und alles mit eigenen Augen sehen musste. Dieser Teil von Darfur war auch für Ärzte viel zu gefährlich. Ganz offenkundig. Aber das hatte Dr. Alan Cole nicht davon abgehalten herzukommen. Der anerkannte Thoraxchirurg hatte in Maryland Frau und Kinder zurückgelassen, um hier vier Monate für ein Hilfswerk zu arbeiten und das Leben der sudanesischen Bürger
zu schützen, die andernfalls leiden und ohne medizinische Versorgung vielleicht sterben würden.
    Jetzt legte auch ich mein Leben in Alan Coles Hände.
    Peng! Peng-peng-peng! Peng-peng-peng!
    Ich rannte hinter ihm und dem tanzenden Schein seiner Taschenlampe her, ohne auf die kantigen Steine und dornigen Zweige zu achten, mit denen der Weg übersät war.
    Vor uns bemerkte ich zwei Menschen – die beiden sudanesischen Krankenschwestern, die Vollzeit im Krankenhaus arbeiteten. Eine startete einen klapprigen alten Jeep, auf den Alan mich hingewiesen hatte, als wir ein paar Tage zuvor eingetroffen waren.
    Er hatte ihn »Fluchtwagen« genannt. Ich hatte gedacht, es wäre ein Witz.
    Ha, ha, ha! Hast die Pointe nicht verstanden, Nick.
    »Steig ein!«, forderte Alan mich auf, als wir den Jeep erreichten. Die Krankenschwester auf dem Fahrersitz sprang hinaus, damit er das Steuer übernehmen konnte.
    Ich warf mich auf den Beifahrersitz und erwartete, dass die beiden Krankenschwestern hinten einstiegen. Das taten sie aber nicht. Stattdessen füsterten sie beide dasselbe: »Salam aleikum.«
    Ich wusste bereits, was diese Worte bedeuteten: Friede sei mit euch. Doch ich war verwirrt. »Kommen sie nicht mit?«, fragte ich Alan.
    »Nein.« Er riss den knirschenden Schalthebel in die Fahrposition. »Auf sie haben es die Dschandschawid nicht abgesehen. Sie wollen uns. Amerikaner. Ausländer. Weil wir ihnen hier ins Handwerk pfuschen.«
    Rasch dankte er den Krankenschwestern und sagte, er hoffe, sie bald wiederzusehen. »Wa aleikum salam«, fügte er hinzu. Und Friede sei mit euch.

    Ich wurde gegen die Rückenlehne gedrückt, als Alan mit voller Wucht aufs Gaspedal trat.
    »Halt dich fest«, rief er über das Rumpeln und Rattern des Motors hinweg. »Das wird eine Höllenfahrt.«

2
    Heiße

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