Rachel ist süß (German Edition)
die junge Frau allem Gesagten aufmerksam zu und man merkte deutlich, wie wichtig ihr Christians Meinung zu den Dingen war. Süß, wie sie zu ihm aufschaut, dachte Inga gerade, als Christian sagte: „Wenn unser Kind einmal so wie Kai wird, wäre ich sehr stolz auf uns.“ Inga lächelte höflich und dachte später im Bett an Christians warmen Rücken gepresst darüber nach, wie es wohl wäre, eine so schöne Tochter zu haben.
Das Zusammenleben mit Kai gestaltete sich auch nach Christians Abreise völlig problemlos. Den Übergang von Sie zum Du hatten beide schon am ersten gemeinsamen Morgen genommen. „Sie haben eine sehr schöne Wohnung“, hatte Kai mit dem Blick auf ein großes Foto von Inga, das Christian im letzten Urlaub gemacht hatte, gesagt. „Sie haben einen zu guten Geschmack, um Sie weiter zu siezen“, hatte Inga geantwortet und sich an Kais Lachen erfreut.
Beide verließen das Haus früh am Morgen und meistens war Kai abends erst nach ihr wieder zuhause, so dass Inga genug Zeit für sich alleine hatte. Zeit, die sie zunehmend damit verbrachte zu überlegen, was sie am Abend für sich und ihren Gast kochen konnte. Das gemeinsame Abendessen war schnell zu einem Ritual geworden, bei dem sie sich nicht gerne stören ließen. Selbst Christian, der jeden zweiten Abend anrief, hatte das lachend zur Kenntnis genommen. „Ich finde es wunderbar, dass ihr euch so gut versteht. Ich habe dir doch gesagt, dass sie anders ist und ich bin sicher, eine mütterliche Freundin wird ihr gut tun. Ihr fehlt da so viel.“
Inga wusste mittlerweile viel mehr über Kais zerfallene Familie, aber sie hatte nicht den Eindruck, dass ihr eine Mutter fehlte. Und sie hatte noch viel weniger den Eindruck, dass sie diese Mutter sein wollte. Nach einer Woche mit Christians Schützling war sie mehr darüber verwundert, wie schnell Kai den Part einer Freundin einzunehmen begann. Einer engen Freundin, die sie so nie gehabt hatte. Es hatte schon sehr früh eine Stimme in Inga gegeben, die sie schrill davor gewarnt hatte, den Mädchen in ihrer Umgebung näherzukommen. Sie hatte diese Angst so wenig hinterfragt, wie sie sie in Frage gestellt hatte, und einfach immer die Nähe von Jungen gesucht. Ihrer Mutter hatte das gefallen, weil sie es für frühkindliche Einsicht in den Schöpfungsplan gehalten hatte. Ihre Gespräche mit Kai aber ließen eine solche Distanz gar nicht zu. Sie hatten längst alles Allgemeine verlassen und beschäftigten sich immer mehr mit ihren Gefühlen, Sorgen und Plänen. Am Tag erwischte sie sich manchmal dabei, wie sie dachte, das muss ich Kai heute Abend erzählen. Sie ist neunzehn, machte sich Inga manchmal spät in der Nacht klar, und merkte, dass ihr die Zahl im Zusammenhang mit Kai unwirklich erschien.
„Du hast nicht gekocht. Wir müssen beide verhungern.“ Kai rutschte noch mit ihrem Rucksack auf den Schultern an der Küchenwand hinab und blieb dort mit anklagendem Blick sitzen. Inga schmunzelte wie immer, wenn Kai etwas aus sich herauskam, und zog sie mit beiden Händen hoch. „Ich habe nicht gekocht. Ja. Wir müssen verhungern? Nein! Heute beginnt dein erstes richtiges Wochenende in der Hauptstadt, ich lade dich zum Essen ein.“ Sie standen immer noch Hand in Hand da und sahen sich an, bis Kai verlegen ihre Hände zurückzog. „Das musst du nicht. Ich finde es schon so super, dass du mich hier bleiben lässt.“
„Ich finde es sehr schön, dich hier zu haben.“ Inga sprach zum ersten Mal aus, was sie schon die ganze Woche gedacht hatte. Sie stieß Kai leicht an der Schulter an. „Gib es zu, du willst nur nicht mit einer älteren Lehrerin in der Stadt gesehen werden.“ Kai betrachtete sie nachdenklich. „In Christians Erzählungen wirktest du älter.“
„Muss an seinem Erzählstil liegen. In Christians Erzählungen wirktest du jünger. Und viel hungriger“, antwortete Inga und nahm ihren Autoschlüssel schmunzelnd vom Küchentisch. „Komm jetzt, in meinem Alter kann man nicht mehr so lange mit dem Essen warten.“
Kai warf ihre Rucksack in eine Ecke, folgte ihr und sagte: „Du bist viel jünger als Christian.“
„Wenn das eine Frage war, schläfst du ab morgen im Labor.“ Inga drehte sich drohend herum und Kai hob flehend die Hände. „Es war eine Feststellung.“
„Glück gehabt. Aber wenn du Zahlen brauchst, ich bin zweiunddreißig und Christian wird nächsten Monat vierundvierzig.“
„Stehst du auf Ältere?“ Kai grinste
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