Rachel ist süß (German Edition)
spähen. Ein schmaler Lichtspalt fiel über den hellen Parkettboden.
„Mach auf! Macht auf, oder ich trommele die ganze Nachbarschaft zusammen.“ Er hämmerte mit beiden Fäusten gegen die gläserne Tür. Was tue ich nur hier? Er versetzte der Tür einen so heftigen Tritt, dass sie scheppernd vibrierte. Der Lichtspalt wurde breiter und die Frau seines Freundes kam durch das dunkle Zimmer auf ihn zu. Die Verandatür öffnete sich und er trat eilig ein. „Entschuldige Karin, ich wollte dich nicht erschrecken. Ich habe mir Sorgen gemacht …“ Er stockte. „Ich wollte nachsehen, warum sich bei euch keiner meldet, und dann habe ich dieses Geräusch gehört und gedacht …“
Die Frau wandte sich von ihm ab und sank in einen Sessel.
„Es ist doch alles in Ordnung, nicht wahr?“
Seine ängstliche Frage schwebte minutenlang im Raum. Die Frau rührte sich nicht und er ging zu ihr hinüber.
„Karin …?“
Sie hob ihr Gesicht und er sah den großen Bluterguss unter ihrem Auge.
„Er ist weg.“ flüsterte sie. „Er ist weg und hat das Kind mitgenommen, damit er sicher sein kann, dass ich die Polizei nicht hole.“
Die Tränen rannen aus ihren Augen, ohne dass sie es zu bemerken schien.
„Er sagt, er muss sich rächen und wir wollen ihn alle aufhalten. Aber das könnten wir nicht!“
Der Chefredakteur drehte sich zur Tür und fühlte einen heftigen Stich in der Brust. Für einen Moment hatte er das Gefühl, nicht mehr atmen zu können, dann holte er schmerzhaft tief Luft.
„Wenn er fertig ist, bringt er meine Tochter zurück … er hat es mir versprochen.“
Ihre Stimme folgte dem Chefredakteur durch die Verandatür in den Garten.
„Bitte lass ihn machen, was er will. Er hat mein Kind!“
„Ich bin nicht hungrig.“ Sie schaute ängstlich von ihrem vollen Teller auf und legte die Gabel beiseite.
„Dann isst du eben nichts. Aber glaube ja nicht, dass du dich nachher beschweren kannst.“ Er musterte den Stadtplan und schrieb sich Straßennamen auf die Papierserviette des Restaurants.
„Können wir nicht wieder nach Hause fahren, bitte Papa!“
„Nach Hause? Da, wo deine heulende Mutter mich für einen Wahnsinnigen hält? Wir beide haben kein Zuhause mehr, wir haben eine Mission! Nun fang doch nicht auch an zu plärren!“ Wie schon so oft in den letzten Tagen, wurde seine Stimme laut und wütend. Die Leute an den Nebentischen blickten verstohlen zu ihnen herüber und begannen zu tuscheln.
„Verdammt, hör auf oder ich sperre dich für den Rest der Nacht in den Kofferraum!“ Das Mädchen kämpfte verzweifelt mit den Tränen und zog mehrmals die Nase hoch. „Hör auf, habe ich gesagt! Ach, ihr seid doch alle gleich, los, wir gehen.“
Er zitierte einen vorbeieilenden Kellner herbei und zahlte. „Stimmt so.“
Er hinterließ ein großzügiges Trinkgeld und der Kellner wünschte ihnen einen schönen Abend.
„Das wird nicht einfach mit dem schönen Abend, ihre Mutter …“ Er deutete auf das junge Mädchen. „… hat uns verlassen. Es ist nicht leicht für uns.“
Der Kellner hörte mit gespieltem Interesse der Geschichte zu, murmelte eine teilnehmende Floskel und eilte davon. Das Mädchen folgte dem massigen Mann mit müden Schritten aus dem Lokal. Gab es denn niemanden, der sie suchte? Noch eine Nacht mit ihm in einem Zimmer würde sie nicht aushalten.
Nicht die Fragen und nicht die Schläge.
„Wen hast du gerufen?“
„Wo sind sie?“
„Wie hast du sie gefunden?“
In ihrem Kopf drehten sich die Gedanken. Er ging dicht neben ihr zum Auto und drängte sie hinein.
Ruf sie!
Der Gedanke durchschoss ihre betäubten Sinne.
Wie denn? Ich habe kein Licht und wer sagt mir überhaupt, dass sie etwas getan haben.
Er hatte einen Unfall … du weißt, dass sie es waren!
Er ist verrückt geworden, ruf sie!!
Er wird dieser Journalistin, von der er andauernd spricht, etwas antun, sehr bald! Vielleicht schon heute Nacht! Und er wird dich nie mehr gehen lassen …
Der Mann auf dem Fahrersitz faltete die eng beschriebene Serviette auseinander und hielt sie ins Licht. „Wir werden einen kleinen Besuch machen heute Abend. Offensichtlich eine Freundin von dir. Vielleicht ist euer Gedächtnis besser, wenn ihr zusammen seid.“
Sie presste die Augenlider fest aufeinander und schickte lautlos einen qualvollen Hilfeschrei durch die Nacht.
Sea
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