Racheopfer
Nicht einmal Jennifer wusste in allen Einzelheiten, was Kendrick nun vorbringen würde. Sie waren uneins gewesen, was die Vorgehensweise betraf, und Jennifer hatte keine Ahnung, wie Kendrick sich entschieden hatte, doch sein Entschluss konnte alles zunichtemachen, worauf sie, Jennifer, jahrelang hingearbeitet hatte.
Ihr Magen verkrampfte sich, als sie sich erneut fragte, ob er ihren Rat befolgen würde. Wenn Kendrick sich für seine eigene Richtung entschieden hatte, wäre ihre größte und vielleicht einzige Hoffnung auf Vergeltung dahin.
Zum ersten Mal meldete der Gouverneur sich zu Wort. »Wir haben bereits große Finanz- und Sachmittel in Ihr Programm investiert, Dr. Kendrick. Auch die Verstärkung Ihres Mitarbeiterstabs und das zusätzliche Sicherheitspersonal kommen uns nicht gerade billig. Als diese Ergänzungen letzten Herbst in den Nachtragshaushalt aufgenommen wurden, haben Sie uns versichert, längere Zeit damit auszukommen, ohne Ihr Programm einschränken zu müssen.«
Kendrick nickte. »Ich spreche für mich und für unseren Vorstand, wenn ich sage, dass wir die Unterstützung, die Sie uns bislang gewährt haben, sehr hoch schätzen. Und ich kann Sie beruhigen. In meinem Ersuchen geht es weder um zusätzliches Geld noch um Sachmittel.«
»Was wollen Sie dann?«
»Bisher handelt es sich bei unseren Testpersonen um Gewalttäter, die von der Strafvollzugsbehörde vorübergehend in unsere Klinik verlegt wurden. Wir hatten großen Erfolg mit vier Männern, die wegen mehrfacher schwerer Körperverletzung verurteilt waren, sogar bei einem Sexualstraftäter. Die nächste Phase unserer Arbeit und unser größtes Experiment erfordern jedoch eine Testperson, die weitaus gefährlicher ist. Wir müssen herausfinden, ob wir unsere Ergebnisse auch auf die schlimmsten Straftäter anwenden können.«
Der schmerbäuchige Direktor der Strafvollzugsbehörde DOC beugte sich vor. »Was soll die Heimlichtuerei? Worauf sind Sie aus?«
Jennifer machte sich auf eine Enttäuschung gefasst. Kendrick hatte um die Verlegung eines Mannes ersuchen wollen, der fünf Frauen in Nachtclubs unter Drogen gesetzt und später ermordet hatte. Er war ein schüchterner, schwächlicher Mann, der seine Opfer mit Rohypnol – der »Date-Rape-Droge« – betäubt hatte, weil er die körperliche Konfrontation scheute. Jennifer hatte angeführt, dass ein solcher Mann keine echte Herausforderung bedeute. Nur ein hochgefährlicher Mörder könne Ergebnisse liefern, die sie in die Lage versetzten, ihre Arbeit aus dem Forschungsstadium in die klinische Anwendung zu bringen. Jennifer hatte dabei eine ganz bestimmte Testperson im Sinn, einen Mann, der sie noch heute bis in ihre Träume verfolgte.
Sie bemerkte, wie Kendrick sich versteifte, als bereitete er sich physisch auf den Widerstand vor, der gleich einsetzen würde. »Wir möchten, dass Sie uns einen berüchtigten Serienmörder überstellen. Francis Ackerman junior.«
Jennifer hatte einen Ansturm von Fragen und Zurückweisungen erwartet, doch im Konferenzzimmer breitete sich völlige Stille aus. Sie atmete tief durch und bemerkte erst jetzt den kräftigen Geruch von Leder und Reinigungsmittel mit Zitronenaroma, der den ganzen Raum erfüllte. Es war ziemlich warm geworden, und sie spürte, wie ihr ein Tropfen Schweiß den Rücken hinunterlief.
Der DOC-Direktor lehnte sich zurück. »Wenn ich glauben würde, dass Sie auch nur einen Funken Humor besitzen, Kendrick, würde ich sagen, Sie wollen uns auf den Arm nehmen. Aber da dem nicht so ist, nehme ich mal an, Sie haben schlicht und ergreifend den Verstand verloren.«
»Ackerman wäre der richtige Prüfstein für unsere Methode. Einige seiner Scans sind uneindeutig, andere aber lassen Problemzonen an seiner Amygdala erkennen, dem Mandelkern, jenem Bereich des Gehirns, in dem Gefühle wie Angst entstehen. Affen mit Schäden am Mandelkern gehen auf Menschen, sogar auf Raubtiere zu, ohne Anzeichen von Furcht erkennen zu lassen. Das ist auch ein Teil der Erklärung, warum Ackerman so ist, wie er ist. Ich glaube, wir könnten die fatale Neigung dieses Mannes, andere zu verletzen, ihnen zu schaden oder sie zu töten, zumindest eindämmen. Ich kann Ihnen überdies versichern, dass wir jemanden wie Ackerman sicher unterbringen könnten. Wir haben jede …«
Der Gouverneur hob die Hand, und Kendrick verstummte. »Haben Sie eine Vorstellung, Dr. Kendrick, wie viele Anträge wir erhalten, diesen Irren studieren zu dürfen, seit wir ihn in Gewahrsam
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