Rachesommer
sie den Rand eines glänzenden Gegenstands, der aus dem getrockneten Schlamm ragte. Vermutlich eine Münze. Sie grub die Stelle auf und zog das Objekt heraus. Es war zu groß für eine Münze und sah eher wie eine kleine, ovale Kunststoffhülle aus. Evelyn wischte den Dreck ab. Ein Porschelogo kam zum Vorschein.
Ein Funkschlüssel!
3
Ohne die Taschenlampe kletterte Evelyn aus dem Schacht. Mit dem Autoschlüssel in der Hand hievte sie sich aus der Öffnung. Dabei betätigte sie irrtümlich den Auslöser der Fernbedienung. Nicht weit entfernt ertönte ein schrilles Quak-Quak, gefolgt vom Öffnen einer Zentralverriegelung.
»Was für ein Schnäppchen!«, murmelte sie.
Die Innenbeleuchtung eines Porsches, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite in der Nähe des Nachtclubs parkte, ging an. Für einige Sekunden leuchteten auch die orangefarbenen Blinker des Wagens.
Der Schlüssel lag bestimmt schon seit Tagen im Schlamm, aber die Batterie war intakt geblieben. Vermisste niemand seinen Porsche? Evelyn nahm ihre Stöckelschuhe, kletterte über die Absperrung und lief barfuß zu dem Wagen. Der silbergraue Porsche 911 Carrera war ein schnittiger Zweisitzer mit Hardtop, Leichtmetallfelgen und einem Auspuffrohr aus Edelstahl. Einige Strafzettel klebten hinter dem Scheibenwischerblatt. Dieser Wagen kostete mindestens 120000 Euro. Dafür bekam man schon ein kleines Einfamilienhaus in günstiger Lage.
Aus dem Nachtclub drang ein dumpfer Bass. Kein Türsteher, keine Warteschlange von Gästen, nur schwarze, heruntergelassene Rollläden und das surrende Geräusch der Neonreklame. Entrez-Nous. Evelyn öffnete den Wagen und ließ sich auf den Fahrersitz fallen. Als sie die Tür schloss, ging die Innenbeleuchtung aus. Erst jetzt bemerkte sie, dass ihre Bluse den Gestank der Kloake angenommen hatte. Ihre Füße waren bis zu den Knöcheln schmutzig, aber irgendwie fühlte sie sich lebendig. Das Lenkrad, die Armlehne und die Sitzbezüge aus Raffleder rochen wie frisch aus der Werkstatt. Sie steckte den Zündschlüssel ein. Durch den Bordcomputer und das Multifunktionslenkrad wirkte das Wageninnere wie das Cockpit eines Flugzeugs. Die Anzeige des Tachometers ging bis 300 km/h. Die Armaturentafel zeigte gerade mal einen Stand von dreitausend Kilometern.
Als Evelyn das Handschuhfach öffnete, schlug ihr Herz bis zum Hals. Ein Handy, Feuerzeug, Zigaretten, Kugelschreiber, eine Parkscheibe und … Kondome kullerten ihr entgegen. Wie praktisch! Sämtliche Geschmacksrichtungen, von Erdbeere bis Vanille.
Als jemand an das Seitenfenster klopfte, fuhr Evelyn hoch. Das rote, aufgedunsene Gesicht eines Mannes blickte durch die Scheibe. Er war an die fünfzig, sein Anzug war schäbig und die Krawatte saß schief. Die wenigen Haare hatte er sich wirr über den Kopf gekämmt, um die beginnende Glatze zu verbergen.
Instinktiv drückte Evelyn den Zigarettenanzünder in die Konsole. Dann blickte sie nach vorne und in den Rückspiegel. Der Mann war allein auf der Straße. Sie ließ die Scheibe nach unten fahren.
»Hallo …« Eine Alkoholfahne wehte zu Evelyn ins Auto. Der Mann war so abgefüllt wie ein Spirituosenladen auf zwei Beinen.
»So ein hübsches, blondes Ding, ganz allein in so einem Flitzer.« Er zerrte an seinem Krawattenknoten, als benötigte er dringend Frischluft.
»Falls Sie nicht in Gefahr sind oder Hilfe benötigen, muss ich Sie bitten, mich nicht zu belästigen.«
Der Mann lehnte sich an die Fahrertür und grinste in den Wagen. »Muss ich Sie bitten, mich nicht zu belästigen«, äffte er ihre Stimme nach. »Dein Freund ist wohl ein ziemlich feiner Pinkel, was? Die Typen kenne ich. War selbst auch mal einer.«
Bestimmt war er das. Evelyn wollte die Scheibe bereits wieder nach oben fahren, als der Mann am Türgriff zu hantieren begann.
»Finger weg!«, rief sie scharf. »In Ihrem eigenen Interesse!«
»In Ihrem eigenen Interesse …« Er taumelte einen Schritt zurück. Unbeholfen kramte er einen Schlüsselbund aus der Hosentasche und drehte ihn lässig am Finger. »Du hast doch nichts dagegen, wenn ich mich zu dir setze?« Er grinste. »Oder begleitest du mich lieber zu mir nach Hause?«
Was für Alternativen!
»Hast du dich schon entschieden?«
»Im Handschuhfach liegt ein Pfefferspray!«, log sie. »Eine Dosis davon verätzt Ihre Bindehaut, und falls Sie Asthmatiker sind, verkrampfen sich Ihre Bronchien, und Sie ersticken.«
Für einen Moment hielt er inne, doch dann überlegte er es sich anders und griff
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